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Stefan Hemetsberger am Flug durch die Mausefalle.

Foto: Archiv Stefan Hemetsberger

Kitzbühel - Ein empirisches Gesetz besagt nachstehendes: Die Sorge der Eltern wächst im Verhältnis zum Schwierigkeitsgrad der vom Kind zu bewältigenden Abfahrt exponentiell. Ist die Strecke also die Kitzbüheler Streif, wird im Elternhaus deutlich schlechter geschlafen als sonst. Mutter Hemetsberger hat auf diesem Gebiet bereits eine gewisse Routine entwickelt, zog Sohnemann Stefan doch schon 2008 aus, um den Klassiker als Vorläufer zu bewältigen. "Sie hat damals nichts gesagt, sie wollte mich nicht verunsichern", erinnert sich der 23-jährige Oberösterreicher zurück. Aber die mütterlichen Tränen zum Abschied sprachen für sich.

Zur Verunsicherung hatte es damals ohnehin keiner großen Worte bedurft, die Streif präsentierte sich im vergangenen Jahr in einem Zustand, den Hemetsberger heute als "fast schon kriminell" bezeichnet. Er ist kein Aufschneider, er sagt es gerade heraus: "Ich habe mich brutal gefürchtet, bin in der Nacht Schweiß gebadet aufgewacht. Heiß-kalt, heiß-kalt. Da ging mir alles durch den Kopf, von Schmeißen bis Draufgehen." Die Ängste waren keineswegs unbegründet, für zwei Vorläufer endete das Abenteuer schwerverletzt im Spital, selbst die Profis äußerten herbe Kritik an der Präparierung der Strecke. Hemetsberger will zudem bei manchen Kollegen technische Defizite gesehen haben: "Einige sind nicht gut am Ski gestanden, das war gefährlich. Es gibt eben nicht viele Leute, die dort abfahren können." Natürliche Auslese made in Austria. Als Versuchskaninchen würde sich Hemetsberger aber trotzdem nicht bezeichnen, er bevorzugt augenzwinkernd den Begriff "Kanonenfutter".

Bitte nicht am Limit

Dabei sollten die Vorläufer nicht einmal ihren Grenzbereich austesten, der Organisator bittet sie sogar inständig, es locker anzugehen. Kaum etwas macht dem Veranstalter nämlich weniger Freude, als ein No-Name-Abfahrer, den man aus den Maschen pflücken muss. Und dabei geht es vermutlich weniger um den Läufer selbst als um eine drohende Verschiebung des Rennens. Also: der Vorläufer soll die Streckenverhältnisse unmittelbar vor dem Rennen testen, den Trainern erste Funksprüche ermöglichen, die Zeitmessung einer letzten Kontrolle unterziehen und vor allem, vor allem soll er in einem Teil die Ziellinie überqueren.

Um die ausreichende Kompetenz der Vorläufer in diesem Jahr zu sichern, wurde am 23. Dezember ein sogenanntes Casting organisiert. 75 Interessenten haben sich gemeldet, 37 wurden eingeladen, 15 haben zugesagt, sechs wurden schließlich von einer Jury ausgewählt. Übermütige Kandidaten wie ein 60-jähriger Vorarlberger oder ein 13-jähriger Bub wurden zu ihrer eigenen Sicherheit nicht erst auf der Strecke ausgesiebt.

Gute Streckenverhältnisse

Hemetsberger wird wohl auch dieses Kitzbühel-Wochenende unfallfrei überstehen, nachdem er am Montag bereits einzelne Passagen im Renntempo fuhr, hieß es doch erleichtert: "Es ist wesentlich besser als im Vorjahr, schwierig, aber kein Problem. Aufpassen muss man trotzdem." Das ist bestimmt ratsam, denn Mausefalle, Steilhang, Hausberg, Traverse und Zielsprung bleiben für einen, der normalerweise seinen Weg durch Riesentorlauf- und Slalomstangen sucht, eine außergewöhnliche Herausforderung: "An diesen Stellen sollte man besser auf der Strecke bleiben".

Wie so viele Österreicher träumte auch Hemetsberger einst von einer Karriere als Ski-Profi, aber die Dichte sei nunmal "brutal" und fordere irgendwann auch ihren Tribut. Zu viele Unbekannte machen das Hoffen auf Erfolg im Skisport zu einem riskanten Hasardspiel, dem sich nicht jeder aussetzen will. Auch Hemetsberger entschloss sich vor drei Jahren einen alternativen Weg einzuschlagen, er lässt sich nun lieber in Steyr zum Werkzeugbautechniker ausbilden und fährt nur noch in Oberösterreich Skirennen. Wieviel im Endeffekt zum Profi gefehlt hat? "Verdammt wenig" meint Hemetsberger und klingt dabei keineswegs verbittert, die Freude am Skisport scheint keinen Abbruch erlitten zu haben.

Mutters Bestechungsversuch

So blieb natürlich auch Mutters Bestechungsversuch erfolglos, 1000 Euro wollte die Gute ihrem Sohn für einen Verzicht auf Kitzbühel in die Hosentasche schieben. "Nichts da, ich fahr mit", widerstand Hemetsberger ohne Bedenkzeit dem Angebot. Zumal der Tiroler Skiort mit mehr als nur der Chance auf ein paar Knochenbrüche aufwartet, eine Woche lang wird für das Wohl der Vorläufer gesorgt: Unterkunft, Verköstigung, Taggeld, Unfallversicherung - den Waghalsigen soll es an nichts fehlen, auch nicht am Kontakt zu den Stars, mit denen man bei der Streckenbesichtigung immer wieder ins Gespräch kommt.

Einige Profis wie zum Beispiel Romed Baumann kennt man ohnehin noch aus gemeinsamen Zeiten, mittlerweile wird wohl die eine oder andere Sekunde fehlen, über den Rückstand auf die Siegerzeit ließe sich laut Hemetsberger aber nur spekulieren: es käme viel auf den Ski an, sollte man den flachen Brückenschuss aber nicht zum Ausschütteln der Beine nutzen, könne man auch als Vorläufer durchaus mit den schlechteren Weltcup-Fahrern mithalten.

Und nächstes Jahr?

Hemetsberger will am Samstag nicht zum letzten Mal über die Streif gehen, 2010 wird er aber möglicherweise auslassen, eine Prüfung steht an, "da darf ich mir vorher nicht weh tun". Mutter wird es gerne hören. (Philip Bauer; derStandard.at; 21. Jänner 2009)