Ökonom Kenneth Rogoff ist skeptisch bei Hilfspaketen.

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Wegen der Restrukturierung des Finanzsektors erwartet Ökonom Kenneth Rogoff sieben magere Jahre in den USA. Das Ostrisiko heimischer Banken erfordere eine europäische Lösung, sagte er Andreas Schnauder.

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STANDARD: Einige blicken auf die Obama-Inauguration wie auf den Amtsantritt von Franklin D. Roosevelt und hoffen auf einen New Deal. Sind die Erwartungen vergleichbar?

Rogoff: Nach der Ära Bush würde jeder neue Präsident mit offenen Armen empfangen. Die Leute hoffen, dass Obama zumindest einen Plan hat. Die Bush-Administration hatte keinen, es fehlte die politische Stärke. Obama hat das notwendige politische Kapital für weitreichende Maßnahmen.

STANDARD: Doch schon bisher wurden weltweit Billionen Dollar in die Banken und Konjunkturprogramme gesteckt, ohne dass eine Erholung in Sichtweite wäre. Was kann da Obama noch draufsetzen?

Rogoff: Präsident Bush und die US-Notenbank waren lange viel zu optimistisch. Es war absurd zu glauben, dass das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket für die Banken die Probleme lösen würde. Jetzt gibt es eine realistischere Beurteilung, auf der man aufbauen kann. Wir brauchen eine Restrukturierung des Sektors, bei der es zu einer konkursähnlichen Selektion kommt, bei der die Gläubiger auch Geld verlieren. Aber selbst das reicht nicht, wenn nicht neue Regulierungen greifen.

STANDARD: Wie schätzen Sie die finanzielle Belastung der Hilfsprogramme ein?

Rogoff:Wir haben herausgefunden, dass die Staatsverschuldung in typischen Wirtschaftskrisen in drei Jahren durchschnittlich um 80 Prozent steigt. Ein großer Teil kommt von Steuerrabatten, Investitionsanreizen und Bankenhilfen. In den USA rechne ich damit, dass die Staatsverschuldung von 46 auf mindestens 80 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen wird.

STANDARD: Wer soll das bezahlen?

Rogoff: Die USA können das. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir eine Verschuldung von 130 Prozent. Ein Teil davon wird inflationiert. Sehr skeptisch bin ich, was die Konjunkturstimuli anbelangt. Die Chance, dass damit irgendetwas Positives bewirkt wird, liegt in meinen Augen unter 50 Prozent. Aber die Unsicherheit ist so groß, dass ich diese Programme trotzdem unterstütze. Es ist der falsche Zeitpunkt, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

STANDARD: Wie wirkt sich die Verschuldung auf die Zinsen aus?

Rogoff: Angesichts des riesigen staatlichen Finanzierungsbedarfs steigt die Gefahr höherer Zinsen. Die Zinsen für US-Staatsanleihen werden in zwei bis drei Jahren von derzeit rund zwei auf sieben bis acht Prozent steigen. Das setzt auch andere Länder mit hoher Verschuldung, wie Griechenland oder Italien, gewaltig unter Druck. Von den baltischen Staaten oder Ungarn ganz zu schweigen. Es würde in die historischen Muster passen, wenn es zu Ausfällen in osteuropäischen Ländern kommen sollte. Das heißt nicht, dass ganz Osteuropa kollabieren wird, aber weitere Stützungsmaßnahmen wie im Falle Ungarns werden notwendig.

STANDARD: Derzeit wird breit diskutiert, ob die USA wieder rascher aus der Rezession herauskommen und Europa länger laboriert. Könnte das diesmal anders sein?

Rogoff: Ich denke, die USA werden - selbst wenn der Abschwung 2010 oder 2011 enden sollte - eine lange Phase niedrigen Wachstums von ein bis zwei Prozent durchmachen. Diese Periode könnte fünf bis sieben Jahre dauern. Einerseits wegen der notwendigen Restrukturierung des Finanzsektors. Andererseits wegen des Umbaus in Richtung nachhaltiger Wirtschaft mit einer stärkeren Ausrichtung auf Umwelt, Infrastruktur und Gesundheit, wo wir die Versäumnisse der Vergangenheit bezahlen müssen. Zudem ist mit höheren Steuern zu rechnen. In dieser Anpassungsphase kann ich mir keine hohen Wachstumsraten in den USA vorstellen. Europa geht eher durch eine normale Rezession.

STANDARD: Die Flexibilität der US-Wirtschaft wurde oft unterschätzt.

Rogoff: Aber jetzt hat die US-Wirtschaft einige gebrochene Knochen, und in dieser Situation ist man nicht sehr flexibel. Wir haben den Finanzsektor verloren, der zuletzt acht Prozent zur Wirtschaftsleistung beigetragen hat. Der Anteil des Finanzsektors an den Unternehmensgewinnen lag sogar über 30 Prozent. Das ist über Nacht weg.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das von Österreichs Banken in Osteuropa eingegangene Risiko?

Rogoff: Eine der größten Gefahren in Europa ist das Problem der österreichischen Banken und ihres Engagements in Osteuropa. Die Situation wäre auf europäischer Ebene zu managen, aber es scheint keinen Plan dafür zu geben. Ich plädiere für einen Lastenausgleich, bei dem die Banken die Kosten ihres Anteils tragen - ebenso wie italienische und andere Banken. Bei Fortis haben Luxemburg, Belgien und die Niederlande rasch eine Lösung gefunden. Aber die Komplexität ist im österreichischen Fall größer. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.1.1.2009)