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Bestausgebildete Facharbeiter werden im Bezirk Neunkirchen gehandelt wie Gold. Es gibt nur zu wenige.

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Wimpassing - Das Betriebsgelände der Semperit AG im südniederösterreichischen Wimpassing riecht nach Traditionsstätte - nach alter Industrie, die quasi aus dem Dampfmaschinenzeitalter den Sprung ins dritte Jahrtausend geschafft hat. Neue Hallen neben alten Backsteingemäuern. Alles sehr ordentlich. Man produziert hochspezialisierte Gummiwaren für Industrie und Medizintechnik. Knapp 600 Leute sind beschäftigt.

Geht es nach der Gerüchte-Maschine, werden es bald 160 weniger sein. Oder noch mehr, wer weiß. Seit Dezember wurden 50 Arbeiter freigestellt, doch das sei erst der Beginn einer "Kündigungswelle" , rumort es. Gerüchte sickern wie Maschinenöl durch lecke Dichtungen, verkleben das Denken, machen Angst.

Arbeitslosenquote unter dem Schnitt

Der Bezirk Neunkirchen ist der Letzte im Industrieviertel, der sich Industriebezirk nennen kann. Mehr als die Hälfte der unselbstständig Beschäftigten arbeitet in der Sachgüterproduktion. Den Niedergang der Verstaatlichten Industrie in den 80er-Jahren hat man durch neue Betriebsansiedlungen überwunden. Die Arbeitslosenquote liegt unter dem österreichischen Schnitt. Der Ruf, eine "Krisenregion" zu sein, hält sich dennoch hartnäckig, ist aus den Köpfen der Menschen schwieriger zu exportieren als Hightech-Know-how.

Gerade damit hat etwa die Semperit die Krisen der Vergangenheit gemeistert. Wimpassing ist das Forschungs- und Entwicklungszentrum des börsennotierten Konzerns, der mit 7000 Mitarbeitern weltweit zuletzt 608 Millionen Euro Umsatz und 45 Mio. Euro Gewinn erwirtschaftete. Wimpassing ist die Denkzentrale, das Gehirn. Hier wird erforscht und vor Ort erprobt, wie Fertigungsprozesse optimiert und in den produzierenden Betrieben in Indien, China, Thailand eingesetzt werden können.

"Personelle Bereinigung"

"Ein wesentliches Ziel der F&E-Arbeit ist die Kostenminimierung im Herstellungsprozess" steht auf der Homepage. Die Kostenminimierung macht vor dem Personal nicht Halt. Tatsächlich, sagt Zentralbetriebsratsobmann Alexander Hollerer, habe in den vergangenen Wochen "eine gewisse personelle Bereinigung" stattgefunden.

Getroffen habe es rund 50 Arbeiter, ausschließlich solche, die minderqualifiziert seien und chronisch hohe Krankenstände aufwiesen - und die nicht Deutsch könnten. Die Auftragseingänge seien spartenweise ab Oktober abgeflacht, von großer Krise könne derzeit allerdings überhaupt keine Rede sein. Wie in jedem straff geführten Unternehmen werde der Personalstand der Auftragslage entsprechend angepasst.

"Von den Kündigungszahlen, die derzeit herumgeistern" , sagt Hollerer, "ist uns absolut nichts bekannt." Und: "Die Semperit hat 17 Jahre in Folge Rekordergebnisse geschrieben, das 2008er-Ergebnis wird auch nicht schlecht ausfallen, aber wir haben eben immer nur so viele Leute, wie wir brauchen."

Die Besten werden abgeworben

Wer wird aber gebraucht? Vor allem bestausgebildete Facharbeiter. Die werden im Bezirk gehandelt wie Gold: Wirklich gute Kräfte sind rar. Zuletzt haben die Unternehmen einander die Besten abgeworben. Abgebaut werden die Hilfskräfte, im Fall Semperit hauptsächlich türkischstämmige Mitarbeiter.

"Wenn du jetzt nichts kannst" , sagt eine Facharbeiterin stellvertretend für ihre gesamte Zunft, "dann bist du draußen, so schnell kannst gar nicht schauen. Das wissen wir alle, und in jedem einzelnen Betrieb im Bezirk wird derzeit über nichts anderes geredet." Doch die Zeiten, in denen man gern viele Lehrlinge ausbildete, sind vorbei, und das hat mehrere Gründe.

Einen davon nennt Rupert Dworak, Bürgermeister der Nachbarstadt Ternitz, unverblümt: "Die Pflichtschulbildung ist teils katastrophal, es bewerben sich Leute, die beherrschen nicht einmal einfachste Flächenberechnungen." Die Semperit hat derzeit gerade einmal neun gewerbliche Lehrlinge in Ausbildung - ausschließlich solche, die nicht nur Rechnen, sondern auch Englisch gelernt haben. Der Akademikeranteil unter den Angestellten beträgt mehr als 60 Prozent. "Natürlich brauchen wir auch Hilfskräfte", sagt Hollerer, "aber auch die müssen ein gewisses Niveau haben."

Schwache fliegen raus

Und dass dieses in Sachen Bildung in den vergangenen Jahren drastisch gesunken ist, beklagt jeder Unternehmer, jeder Ausbildner, doch meist nur hinter vorgehaltener Hand. "Wir leben nicht in einer Gesellschaft, in der man mit Schwächen offen umgeht", sagt Hollerer bedächtig.

Die Unternehmen wappnen sich vor der Krise, putzen aus, halten die Stärksten, lassen die Schwächsten fallen. Wer jetzt selbst zu schwach ist, wie der Spritzguss-Experte Lift Plastics in Ternitz, geht in Konkurs. Wem die Aufträge katastrophal wegbrechen, wie dem Maschinenbauer Maplan, ebenfalls Ternitz, überlegt Kurzarbeit. Drei andere Betriebe im Bezirk haben beim AMS bereits darum angesucht. Was keiner offiziell ausspricht: Die Krise bewirkt einen Schichtwechsel in der Arbeiterschaft. Die Gutausgebildeten kommen im Ernstfall locker wieder unter. Die anderen eben nicht.  (Ute Woltron, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.1.2009)