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So viel ist sicher: Die Felsen der Kultstätte stammen aus einem Gebirge in Wales. Wahrscheinlich hat eine Art "Eisförderband" die Trümmer nach Südengland transportiert.

Foto: Reuters/Chung

London - Seit 5000 Jahren versammeln sich Menschen in Stonehenge. Phönizier, Römer, Kelten und Wikinger sollen in den geheimnisvollen Steinkreisen in Südengland Zeremonien abgehalten haben. Das Bauwerk aus der Jungsteinzeit war wohl auch ein Ort der Wissenschaft: Seine Felsbrocken wurden so ausgerichtet, dass sich astronomische Phänomene wie Sonnenwenden vorhersagen ließen.

Kürzlich warteten britische Klangforscher gar mit der These auf, die Kultstätte sei eine Art Steinzeit-Disco gewesen. Die Steine würden den Schall dramatisch verstärken, die Stätte sei folglich zum Feiern erschaffen worden.

200 Kilometer Transportweg

Sicher ist jedenfalls, dass Stonehenge in mehreren Etappen erbaut wurde. Die ersten Spuren sind fünf Jahrtausende alt. Und gewiss ist auch seit 1908, dass die knapp 100 Felsen von einem Gebirge in Wales stammen, genau: von 21 Orten in der Region Mynydd Preseli in Wale, mehr als 200 Kilometer nordwestlich von Stonehenge.

Bislang glaubten Archäologen, die tonnenschweren Quader wären von Menschen transportiert worden. Rund zwei Millionen mühsame Arbeitsstunden hätten die Menschen jener Zeit für den Transport auf sich genommen, hieß es. Eine solche Bauleistung wäre einzigartig während der Steinzeit.

Moderne Menschen scheiterten allerdings daran, das Unternehmen nachzuahmen. Vor acht Jahren versuchten Wissenschafter mit Imitationen von Steinzeitflößen, Felsen aus Wales nach Stonehenge zu schaffen. Sie blamierten sich nach wenigen Kilometern: Die Steine versanken im Wasser.

Nun müssen sich die Archäologen wohl endgültig von der Vorstellung fortschrittlicher Steinzeitmenschen verabschieden. Nicht Menschen, sondern Gletscher hätten die Felsen von Wales nach Stonehenge geschafft, behauptet nun der Geologe Brian John in seinem neuen Buch "The Bluestone Enigma".

Die Gletschertheorie keimte bereits im 19. Jahrhundert auf. Die bislang erfolgreichen Gegenargumente der Archäologen: der Umstand, dass die steinzeitlichen Baumeister die Felsen zu sorgfältig nach Farbe und Struktur ausgesucht hätten, sowie ungewöhnliche Knochenfunde. In der Umgebung von Stonehenge fand man in Steinzeitgräbern zahlreiche menschliche Skelette, die Missbildungen und Verletzungen aufwiesen. Die Indizien deuteten darauf hin, dass es ausgezehrte Transportarbeiter waren.

Doch die Sachlage war nie eindeutig. Im weiteren Umkreis wurden beispielsweise Findlinge entdeckt, die eindeutig von Gletschern transportiert worden waren. Schon lange vermuteten Geoforscher deshalb, dass sich während der viertletzten Eiszeit vor 400.000 Jahren Gletscher über die Region im Süden Englands geschoben hatten. Allerdings war es schwer zu begründen, wie 100 Felsen entlang einer engen Schneise mehr als 200 Kilometer weit geschleppt werden konnten.

Nun gibt es eine Erklärung: Ein "Eisförderband" habe die Findlinge aus Wales in die Umgebung von Stonehenge befördert, schreibt der Geologe Brian John von der University of Durham nun in seinem neuen Buch. Der Wales-Gletscher und der Irische-See-Gletscher seien vor 400.000 Jahren in Südwales zusammengetroffen - in jenem Gebiet, aus dem die Stonehenge-Steine stammen. Unter dem Druck beider Eiszungen sei zwischen ihnen quasi ein Förderband entstanden: Das Eis in der Mitte beider Eiszungen sei wie Salbe aus einer Tube herausgequetscht worden - geradewegs in Richtung Stonehenge. Im Gepäck hatte das Eisförderband jede Menge Gestein.

Kanadisches Gegenstück

In Kanada hat Brian John das Gegenstück zum Stonehenge-Förderband entdeckt. Zwei Eisströme haben in Alberta in Westkanada während der letzten Eiszeit vor 18.000 Jahren ein schmales Eisband von 500 Kilometern Länge erzeugt. Das Transportband habe südöstlich von Calgary hunderte Felsen ausgespuckt, berichtet der Geologe Brian John.

Eine ähnliche Lieferung fanden die Steinzeitmenschen offenbar nahe Stonehenge vor. Der Archäologe Tim Darvill von der Bournemouth University bleibt jedoch skeptisch. Warum, fragt er, verwendeten die Steinzeitmenschen so exotische Steine? Andere lagen dort einfach nicht herum, meint Jones lakonisch. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. 1. 2009)