Alexander Van der Bellen musste sich den Parteichef erst abgewöhnen, darüber beriet er sich mit Wilhelm Molterer.

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Standard: Sie sind nicht mehr Chef der Grünen. Ist Ihnen eine Last von den Schultern gefallen, oder vermissen Sie die Verantwortung?

Van der Bellen: Es ist beides ein bisschen übertrieben. Die Verantwortung vermisse ich nicht. Aber es braucht schon ein paar Wochen, bis man das akzeptiert: Du bist jetzt nicht mehr zuständig. Das ist eine Umstellung, keine Frage. Ich habe mich mit Wilhelm Molterer getroffen, und wir haben das besprochen. Es ist schon überraschend, wie schnell auch der Informationsbalken runtergeht. Man wird nicht mehr auf dem Laufenden gehalten.

Standard: Was hätten Sie aus heutiger Sicht in Ihrer Führungsrolle anders angelegt?

Van der Bellen: Ein kleines Beispiel: In einem schlampigen Augenblick habe ich gesagt, Studiengebühren und Abfangjäger seien ein wichtiges Thema, aber allein davon das Ergebnis von Regierungsverhandlungen abhängen zu lassen erscheint mir doch übertrieben. Na frage nicht! Da habe ich mich in den Parteigremien ordentlich abbürsten lassen müssen. Wie es der Teufel will, hatte ich gerade eine Bundesländertour geplant. Wenn Sie die Kritik nicht nur ein- oder zweimal hören, sondern fünfmal oder noch öfter, dann hängt sie einem beim Hals heraus. Da müssen Sie echt sagen: Leute, mir reicht es. Einerseits die Gruppendynamik der Grünen gelten zu lassen, andererseits sich persönlich zu schützen, weil man sich denkt, ich hab die Botschaft schon verstanden, da wäre ich in Zukunft stärker an meinem Selbstschutz interessiert.

Standard: Sie haben nach der Nationalratswahl gesagt, das wäre der beste Wahlkampf der Grünen gewesen, und Sie könnten keine Fehler erkennen. Aus der zeitlichen Distanz von heute: Gab es im Wahlkampf tatsächlich keine Fehler?

Van der Bellen: Aber sicher, hundert. Was ich gemeint habe, war meine persönliche Wahrnehmung der Medienauftritte. Mein Gott, bei den Plakaten hätte man was anders machen können. Du überlegst vier Wochen, wie ein Plakat aussehen soll, und wenn es hängt, denkst du: schrecklich! Aber verglichen mit dem Wahlkampf der ÖVP war unserer Nobelpreis-reif.

Standard: Ein Vorwurf gegen Sie lautet: Unter Ihnen seien die Grünen zu wenig angriffig gewesen. Sind Sie harmoniesüchtig?

Van der Bellen: Sie kennen mich ja.Ich diskutiere gern, insofern streite ich mich auch gerne. Aber ich bin schon jemand, der hinterher sagt, na gut, und jetzt gehen wir auf einen Kaffee. Auch mit einem politischen Kontrahenten auf der ganz anderen Seite der Barrikade.

Standard: Den Grünen wird vorgeworfen, die Realität zu verweigern. Darf man als Grüner auch über kriminelle Asylwerber sprechen?

Van der Bellen: Sicher, klar.

Standard: Aber es geschieht nicht.

Van der Bellen: Häufig nicht öffentlich, das ist richtig. Bei vielen bestanden die Bedenken, dass dies Wasser auf die Mühlen von FPÖ,SPÖ und ÖVP lenken würde. Das Argument verstehe ich. In Einzelfällen sind bestimmte Leute sicher ein bisserl blauäugig vorgegangen. Wir haben nicht ausreichend wahrgenommen, dass wir in den Schulen und Kindergärten spezifische Herausforderungen bei dem hohen Anteil nichtdeutschsprachiger Kinder haben. Auf der anderen Seite gibt es bei den Grünen sehr viele Leute, die in der Lehrerschaft engagiert sind, in der Flüchtlingsberatung und so weiter. Die wissen sehr genau, wo die Problemlage ist. Let's face it: Es kann selbstverständlich nicht jeder Asyl bekommen, der darum ansucht.

Standard: Sie sind jetzt Basis ...

Van der Bellen: Stimmt, ein neues Lebensgefühl! Endlich bin ich Basiswappler.

Standard: Würden Sie der Führung dennoch mehr Mitsprache bei der Listenerstellung zugestehen?

Van der Bellen: In irgendeiner Form ja. Die übergroße Mehrheit aller Mandatare kommt über die Länder, da findet zu wenig Abwägung statt, wen der Parlamentsklub brauchen könnte. Das ist unbefriedigend.Das heißt nicht, dass die Bundesspitze autonom Personen auf die Listen setzen soll. Aber irgendeine Form der Mitsprache braucht es. (Peter Mayr Michael Völker/DER STANDARD Printausgabe, 17./18. Jänner 2009)

 

Alexander Van der Bellen musste sich den Parteichef erst abgewöhnen, darüber beriet er sich mit Wilhelm Molterer. Foto: Urban