"Was wir erreichen werden, ist, dass bei Lehrern, die nachweislich schlechte Leistungen erbringen, sowohl dem Schulleiter als auch der Schulaufsicht verpflichtend auferlegt wird, Qualifizierungsmaßnahmen zu setzen."

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Die teilzentrale Matura gibt Themen vor, lässt den Lehrern aber die Benotungsfreiheit. Doch BIFIE-Direktor Josef Lucyshyn warnt Lehrer vor dem Versuch, beim Benoten zu "mogeln": "Wenn jemand willentlich Ergebnisse verfälscht, ist das nicht zu tolerieren", so der Bildungsexperte im Gespräch mit derStandard.at. Konstant schlechte Leistungen an einzelnen Schul-Standorten müssten außerdem Konsequenzen auch für die Lehrer haben, fordert er. Als Vorleistung für einen Numerus clausus an den Universitäten sieht er die teilstandardisierte Reifeprüfung nicht. Das Gespräch führte Markus Peherstorfer.

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derStandard.at: Was bringt die Einführung einer teilstandardisierten Reifeprüfung aus Ihrer Sicht dem österreichischen Schulsystem?

Lucyshyn: Wir haben im internationalen Kontext ganz große Not, zu dokumentieren, was unsere Schülerinnen und Schüler tatsächlich mit dem Maturazeugnis in den einzelnen Gegenständen leisten können. Wir haben am Ende die Benotung zwischen eins und fünf. Ein Befriedigend in der einen Schule sagt eigentlich nichts über das Niveau der Schülerinnen und Schüler aus. Bei der Matura ist das ein ähnliches Verfahren wie bei den Bildungsstandards, wo wir auch ausgehend von den gültigen Lehrplänen die wesentlichen Grundkompetenzen herausnehmen, die jeder Schüler erreichen sollte. Dafür entwickeln wir diese Instrumente.

derStandard.at: Stichwort Entwicklung - wie funktioniert die Erstellung der standardisierten Aufgaben für die schriftlichen Maturaprüfungen?

Lucyshyn: Diese Entwicklung ist ein hoch komplexer Prozess. Hier wird ein Expertenteam zusammengestellt. Im Bereich der lebenden Fremdsprachen haben wir die Universität Innsbruck als Partner. Das sind Sprachwissenschaftler, in den Fremdsprachen jeweils mit einer ausländischen Partneruniversität, für Englisch zum Beispiel Lancaster. Dann kommt eine Gruppe von Praktikern aus dem Schulbereich hinein, und wir haben auch immer eine Gruppe aus der Schulaufsicht dabei.

Der Großteil der Arbeit wird dann von den Wissenschaftlern und den Praktikern geleistet, indem sie zunächst ein Kompetenzmodell entwickeln oder schon eines haben - in den Fremdsprachen zum Beispiel haben wir den GERS, den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Das Gesetz schreibt im Lehrplan vor, es sollte in der lebenden Fremdsprache Niveaustufe B2 erreicht werden. Und jetzt ist es die Aufgabe der Entwicklungsteams, Aufgabenbeispiele zu erstellen, die diesem Niveau genau entsprechen.

Für die Messung einer Lesekompetenz werden zum Beispiel 20, 30 Items erstellt. Dieses Aufgabenpaket wird an Schülern getestet, die am Ende der siebten oder in der Mitte der achten Klasse sind, aber es kommt nicht zur Matura. Danach werden sämtliche Aufgabenbeispiele analysiert, zu welchem Grad welche Schüler was erreicht haben, wo es Schwierigkeiten gegeben hat, warum es Schwierigkeiten gegeben hat, oder ob es Beispiele gibt, die absolut daneben waren. Die werden dann herausgenommen, und aus den anderen analysierten Beispielen wird ein neues Setting zusammengestellt und noch einmal einem Feldtest an einer anderen Kontrollgruppe unterzogen.

Aus der Gesamtauswertung heraus entsteht dann ein so genanntes Standardsetting, und das ist dann das fertige Prüfungspaket, das an die Schulen mit Sicherheitsmaßnahmen zugestellt wird, mit Protokoll und Rücknahmebestätigung. Wir liefern in diesem Paket auch die Beurteilungskriterien mit, damit klar drinsteht, wann ein Aufgabenbeispiel richtig gelöst ist und wann nicht. Wenn Lehrer bei der Korrektur der Arbeiten Zweifel haben, haben wir dafür eine Hotline eingerichtet.

derStandard.at: Hat man auch überlegt, die Auswertung zentral zu machen, sie also nicht den Lehrern zu überlassen?

Lucyshyn: Wir haben uns für den Weg entschieden, dass wir den Lehrern Auswertungsrichtlinien mitgeben. Mit dieser Beilage wird genau vorgegeben, was richtig ist und was falsch. Lehrer haben oft die Tendenz, aufgrund einer besonderen Beziehung, die sie in acht Jahren zu den Schülern aufbauen, Punkte zu vergeben oder nicht. Das Mogeln, halt doch noch einen Vierer oder einen Dreier zu geben, das fällt weg. Wenn sich der Lehrer an die Vorgaben hält, gibt es ein eindeutiges Ergebnis. Dieses Ergebnis wird dann noch einmal vom Vorsitzenden der Maturakommission überprüft.

derStandard.at: Der Vorsitzende wird auch weiterhin von einer externen Schule kommen?

Lucyshyn: Genau, das ist eine externe Kontrolle. Was wir jetzt auch noch machen ist ein Monitoring jeder Schule. Wir ziehen nach der Beurteilung von jeder Schule zehn Prozent der Schülerarbeiten und schauen, ob das richtig gelaufen ist. Die Schule weiß aber nicht, wer das ist. Wir prüfen, inwieweit es den Lehrern und Lehrerinnen gelungen ist, die Korrekturarbeit seriös und korrekt abzuleisten.

derStandard.at: Sprich: Die Lehrer können es sich gar nicht leisten, da und dort einen Punkt etwas großzügiger zu vergeben?

Lucyshyn: Wenn sich jemand so etwas leistet, gibt es eine Rückmeldung an die Schulaufsicht und die Verpflichtung, die Richtlinien einzuhalten. Das ist unseriös. Wenn jemand willentlich Ergebnisse verfälscht, ist das nicht zu tolerieren.

derStandard.at: Wie wirkt sich die Zentralmatura auf die Notenverteilung aus?

Lucyshyn: Aus der ersten Auswertung, die wir für Englisch und Französisch gehabt haben, hat sich interessanterweise herausgestellt: Die Anzahl der Sehr gut ist geringer geworden. Dadurch, dass die Kompetenzen jetzt klar definiert sind, ist das nicht mehr eingetreten, was bisher immer eingetreten ist: Denn jede Matura hat immer eine Gauß'sche Verteilung der Noten gehabt. Der Beste der Klasse hat immer ein Sehr gut gehabt.

derStandard.at: Die Noten waren also nur relativ.

Lucyshyn: Natürlich. Die haben nicht wirklich ausgesagt, was der jetzt eigentlich mit dem Sehr gut konnte. Jetzt werden diese Kompetenzen detailliert beschrieben, gemessen und dokumentiert. Für die Schüler ist es schwieriger, im wirklichen Spitzenbereich zu landen. Interessant war bei den Tests auch, dass der Übergang zwischen Vierer und Fünfer klarer war. Der Großteil im mittleren Bereich ist gleich geblieben.

derStandard.at: Wird sich durch die Festlegung der Kompetenzmodelle die Zusammensetzung der Maturaaufgaben insgesamt verändern?

Lucyshyn: Ja. In allen Maturafächern wird sich die Aufgabenstellung grundlegend verändern, weil sie Aufgaben beinhalten muss, mit denen man Kompetenzen messen kann. So freie Themen wie "Beschäftigen Sie sich mit der Frage des Friedens im Nahen Osten" in Deutsch wird es nicht mehr geben. Sondern es wird in Deutsch genauso eine Aufgabe geben, die sich mit der Textanalyse beschäftigt; in einem Teil wird es ums Argumentieren gehen.

Bisher konnte es passieren, dass ein Schüler zum Beispiel bei der schriftlichen Matura im Argumentationsaufsatz ein Nicht genügend hatte, dann bei der mündlichen Prüfung über Liebesgeschichten bei Rilke und Bachmann ein Sehr gut bekommen hat und insgesamt ein Befriedigend in Deutsch im Zeugnis stehen hat. Der hat keine Ahnung von Struktur, von Sprachkompetenz, von Grammatik, von Ausdruck - das sind Zustände, die sind untragbar.

derStandard.at: Was soll mit Schulen oder auch mit einzelnen Lehrern passieren, die bei den Bildungsstandards und bei der Matura konstant schlechte Ergebnisse produzieren?

Lucyshyn: Wenn sie konstant schlechte Ergebnisse produzieren, dann hat die Schule jetzt auch schon ein Problem. Was wir aber erreichen werden, ist, dass bei Lehrern, die nachweislich schlechte Leistungen erbringen, sowohl dem Schulleiter als auch der Schulaufsicht verpflichtend auferlegt wird, Qualifizierungsmaßnahmen zu setzen. Ansonsten gibt es auch dienstrechtliche Konsequenzen. Das ist aber nicht das Ziel. Ziel muss es sein, bei den Lehrern das Bewusstsein zu heben, dass sie sich permanent fortbilden müssen.

derStandard.at: Sind die neuen Leistungsdaten auf Schulebene auch eine Grundlage für eine gezieltere Ressourcenverteilung? Etwa, wenn man sieht, dass in einer Schule die Leistungen eher schlecht sind, weil sie in einem schwierigen sozialen Umfeld ist, weil sie zu wenig Lehrer hat oder mehr Förderstunden braucht?

Lucyshyn: Ja, und das muss jetzt Konsequenzen haben. Wenn etwa dann herauskommt, ich habe in dieser Klasse einen Migrationsanteil von 80 Prozent, dann ist es die Verpflichtung, zu fragen, warum ich dorthin keine Förderstunden gegeben habe, warum die dort keine zusätzlichen Deutschstunden haben. Diese Verantwortung müsste der Schulleiter wahrnehmen - und das Qualitätsmanagement in der Schulaufsicht müsste darauf achten, dass das wirklich stattfindet.

derStandard.at: Was werden die Hochschulen in Zukunft mit den Maturanoten machen? Ist die Zentralmatura nicht auch eine mögliche Vorleistung, um einen Numerus clausus auf der Basis von Schulnoten wie etwa in Deutschland einzuführen?

Lucyshyn: Wir haben im Gesetz drinstehen, dass unser Maturazeugnis, egal welche Noten man hat, allgemein zum Studium berechtigt. In Deutschland ist das Maturazeugnis anders aufgebaut, es ist umgerechnet auf ein Punktesystem und schon mit dem Aufnahmeverfahren des Numerus clausus korreliert. Das ist eine ganz andere Art von Bewertung. Ich orte nirgendwo, weder im Bereich des Wissenschaftsministeriums noch des Unterrichtsministeriums, dass man darauf umstellen möchte. Insgesamt ist das ein Prozess, der frühestens in zehn Jahren diskutiert werden kann, wenn alle Schulen im System sind - sonst produzieren Sie Ungerechtigkeiten. (derStandard.at, 16.01.2009)