Foto: derStandard.at/Zielina
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"Beim Thema Integration werden wir etwas tun müssen. Die zweite und dritte Generation ist in vielen Bereichen eine verlorene Generation," sagt Familienstaatssekretärin Christine Marek im Gespräch mit derStandard.at. Auch um das einkommensabhängige Kindergeld, das kostenlose und verpflichtende Gratiskindergartenjahr und ein bundesweit einheitliches Jugendschutzgesetz will sie sich in dieser Legislaturperiode kümmern. Beim Jugendschutz seien  einheitliche Ausgehzeiten  die größte Herausforderung. Ihren fünfzehneinhalbjährigen Sohn würde sie jedenfalls nicht "bis Mitternacht alleine durch die Lokale flanieren lassen." Die Fragen stellten Katrin Burgstaller und Anita Zielina.

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derStandard.at: Ab Februar wollen Sie mit den Bundesländern offiziell über die Details für das Kindergartenjahr verhandeln. Bereits heuer im Herbst soll es dann realisiert sein. Das wird knapp, oder?

Christine Marek: Wir haben neun wirklich völlig unterschiedliche Systeme, der Teufel wird im Detail stecken. Zum Beispiel gibt es Privatkindergärten, die - nicht zuletzt auch aufgrund spezieller Zusatzangebote - teurer sind als die öffentlichen Kindergärten. Da wäre zu definieren, ob diese auch zur Gänze gratis sein sollen. In Wien, wo die Besuchsquote bei Fünfjährigen deutlich unter 90 Prozent liegt, gibt es auch ein bauliches Problem. Wien wird Kindergärten bauen müssen.

derStandard.at: Bis zum Herbst wird sich das aber nicht ausgehen.

Marek: Zur Gänze sicher nicht. Ich könnte mir auch einen Stufenplan vorstellen. Trotzdem gehe ich mit dem Ziel in die Verhandlungen, dass wir mit Herbst 2009 österreichweit starten.

derStandard.at: Wie kommen Sie mit den Ländervertretern zu Recht? Es ist ja nicht immer ganz leicht, alle Interessen unter einen Hut zu bringen.

Marek: Meine Erfahrung ist: Durchs Reden kommen die Leute zusammen. Das steht gerade beim Jugendwohlfahrtsgesetz an. Hier wurde eine Totalreform vorbereitet. Die Umsetzung hängt im Wesentlichen nur mehr vom Geld ab. Es wäre schade, wenn das ganze Gesetz wegen dem Geld nichts wird.

derStandard.at: Mit den Ländern wollen Sie sich auch auf ein einheitliches Jugendschutzgesetz einigen. Bei den Ausgehzeiten für Jugendliche ist Wien wesentlich liberaler als etwa Tirol. Wie lange würden Sie Jugendliche unter 18 Nachts weggehen lassen?

Marek: Ich denke, die einheitlichen Zeiten werden die schwierigste Herausforderung sein. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, mich damit im Detail auseinanderzusetzen. Als Mutter kann ich sagen: Meinen fünfzehneinhalbjährigen Sohn würde ich nicht bis Mitternacht alleine durch die Lokale flanieren lassen.

derStandard.at: Also, das Wiener Jugendschutzgesetz ist Ihnen zu liberal? Gibt es schon konkrete Pläne, wann das Jugendschutzgesetz umgesetzt werden soll?

Marek: Als Mutter sage ich ja, das ist zu liberal. Aber meine Privatmeinung hat in diesem Bereich nur bedingt zu interessieren. In den Meinungsbildungsprozess werden Experten miteinbezogen. Es wäre schön, wenn das Jugendschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode vereinheitlicht wird.

derStandard.at: Zum Kindergeld. Sie haben vor einer generellen Abschaffung der Zuverdienstgrenze durch den Verfassungsgerichtshof gewarnt. Warum eigentlich?

Marek: Der Kostenaspekt ist für mich nur bedingt vorrangig. Das Problem ist, dass man dabei den Lenkungseffekt verliert. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld können wir dann vergessen. Ebenso die Väterbeteiligung . Warum soll jemand mehr Zeit in der Familie verbringen, wenn man gleich viel an Sozialleistungen bekommt, egal ob man seine Arbeitszeit reduziert oder nicht?

derStandard.at: Wie viel Zwang ist nötig, damit Väter auch in Karenz gehen?

Marek: Ich glaube kein Zwang, sondern eine "Karotte", um sie auf den Geschmack zu bringen. Je geringer die Hemmschwelle, desto besser geht's. Mit dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld gehen wir von etwa 20 Prozent der Väter aus, die bereit wären, auch in Karenz zu gehen. Dabei orientieren wir uns an Erfahrungen aus Deutschland. Hier wurde vor zwei Jahren das einkommensabhängige Elterngeld eingeführt. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld und der Fertilitätsrate.

derStandard.at: Das hängt aber nicht nur vom Geld ab, sondern auch von der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie. Glauben Sie nicht, dass auch die Wirtschaft dazu angehalten werden muss, verstärkt darauf zu achten?

Marek: Ja, aber da passiert auch bereits einiges. Die Firmen brauchen sehr praktikable Hilfestellungen, deshalb haben wir für kleine und mittlere Unternehmen Praxisleitfäden entwickelt. Andererseits müssen wir Vorteile aufzeigen. Eine Firma ist kein Sozialverein, sondern auf betriebswirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet. Wenn ich durch Familienfreundlichkeit betriebwirtschaftlich erfolgreich sein kann, dann ist das eine schöne "Karotte". Dazu haben wir eine Studie gemacht. Es hat sich etwa gezeigt, dass familienfreundliche Unternehmen um die Hälfte weniger Krankenstandtage haben als der österreichweite Durchschnitt.

derStandard.at: Die Jugendarbeitslosigkeit steigt massiv an. Haben Sie Bedenken, dass es auch in Österreich zu Jugendaufständen kommen könnte?

Marek: Wir haben schon vor dem Sommer mit dem Jugendbeschäftigungspaket, das eine Ausbildungsgarantie beinhaltet, vorgesorgt. Wir haben gesagt, im worst case muss die überbetriebliche Lehrlingsausbildung verstärkt angeboten werden. Ich glaube nicht, dass es in Österreich zu Jugendaufständen wie in Frankreich oder Griechenland kommen wird. Die Politik hat sehr konkrete Maßnahmen gesetzt. Kein europäisches Land hat eine geringere Jugendarbeitslosigkeit als Österreich.

derStandard.at: Ein großer Teil jener Jugendlichen, die am AMS gemeldet sind, sind Jugendliche mit Migrationhintergrund. Was läuft da schief?

Marek: Beim Thema Integration werden wir etwas tun müssen. Die zweite und dritte Generation ist in vielen Bereichen eine verlorene Generation. Für sie gibt es beim AMS ganz konkrete Kursmaßnahmen. Das Thema Integration ist für die schulische und außerschulische Jugendarbeit ein gigantisches Thema. 2007 hatten zwei Drittel der KundInnen des AMS Wien Jugendliche Migrationshintergrund. Das ist natürlich sozialer Sprengstoff, aber wir gehen das an. Wir brauchen diese jungen Menschen auch dringend für den Arbeitsmarkt. Im Jahr 2015 haben wir um 18.000 weniger Jugendliche als heute.

derStandard.at: In den vergangenen Regierungen war auch die ÖVP beteiligt. Hat man da das Problem noch nicht gesehen?

Marek: In vielen Bereichen gibt es auch Länderzuständigkeiten, etwa im Bereich der Schule. Ich denke, das Bewusstsein für das Problem hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Da gab es echte Aha-Erlebnisse.

derStandard.at: Die ÖVP tritt in Zusammenhang mit dem Thema Integration als Law and Order-Partei auf. Wie stehen Sie zu dieser Linie?

Marek: Wir müssen sauber trennen. Einerseits reden wir von Asyl, andererseits von der Integration bereits zugewanderter Personen. Es stellt sich die Frage: warum kommt jemand nach Österreich. Asyl ist nicht Zuwanderung, ist aber leider auch dazu missbraucht worden. Da wurden zu wenig konsequent die Grenzen gesetzt. Es ist niemand geholfen, wenn wir sagen, alle, die in irgendeiner Art hilfsbedürftig sind, sollen herkommen.

derStandard.at: Die Frauenquote im Nationalrat liegt in Ihrer Fraktion bei 25, 5 Prozent. Sind Sie für die Einführung der Frauenquote?

Marek: In gewissen Bereichen bin ich durchaus für die Quote, weil manchmal geht es nur mit Zwang. Frauenquote soll aber nicht heißen, Hauptsache Frau und alles andere ist egal. Bei uns in der Partei entwickelt sich dazu jetzt auch ein entsprechendes Bewusstsein. Da wird Josef Pröll sicher hinschauen, denn Gleichberechtigung bringt auch Qualität in der Arbeit. Ich erinnere auch regelmäßig daran. Man muss einfach auch lästig und hartnäckig sein.

derStandard.at: Elisabeth Gehrer hat im derStandard.at-Interview gesagt: „"Das ist klar, dass Männer ihr Terrain verteidigen". Warum sind Sie, die Sie ja schon in der letzten Legislaturperiode Staatssekretärin waren, diesmal nicht Ministerin geworden, sondern wieder ein Mann?

Marek: (Lacht). In dem Fall war die Frage des Geschlechts wirklich irrelevant. Tatsache ist: Wir haben halt leider die Wahl verloren und da ist in den Verhandlungen weniger Spielraum möglich. Josef (Pröll, Anm. d. Red. ) hätte sich definitiv mehr Frauen gewünscht.(Katrin Burgstaller, Anita Zielina, derStandard.at, 19. Jänner 2009)