Es war vorgestern. Und A. meint, ich hätte doch stehen bleiben und ans Fenster klopfen sollen. Der Hund, meint A., hätte das verstanden - und wenn sich dann herausgestellt hätte, dass die Sache doch genau das war, wonach sie auf den ersten Blick ausgesehen hatte, wäre auch nichts vergeigt gewesen.
Der Wagen war dort gestanden, wo früher oft Familienvans mit beschlagenen Scheiben parkten: Südlich der Hauptallee. Auf dem Sandschotterplatz genau unter der Autobahn. Schon als wir als Schüler hier zum Nachmittagsturnen auf den Sportplatz wanderten, hatten wir uns einen Spaß daraus gemacht, an die Scheiben zu klopfen - und den biederen Familienvätern, die hier mit Junkiemädchen, die schon damals jünger als unsere Schwestern waren, zugange waren, einen Schrecken eingejagt.
Anklopfen
Aber in den letzten paar Jahren hat die Dichte der nachmittäglichen Schäferstündchenparker unter der Tangente doch abgenommen: beschlagene Scheiben sehe ich beim Vorbeilaufen hier relativ selten. Und aus dem Alter, wo ich an eine Autoscheibe klopfe und frage, ob der Freier seine Tochter denn genauso anschaue, bin ich auch raus. Vermutlich ist das ja ein Fehler.
Vorgestern aber stand da genau ein Wagen unter der Brücke. Eine Familienkutsche. Die Seitenscheiben waren beschlagen. Nicht ganz so, wie ich es von früher in Erinnerung hatte, aber doch. Ich lief ein bisserl langsamer. Aus der Geraden wurde ein Kreisbogen. Aber irgendwas sah ich aus dem Augenwinkel, stimmte hier nicht. Oder war zumindest anders, als sonst.
Kein Mensch
Als ich genau vor dem Wagen war, sah ich dann deutlich, was mich schon vorher irritiert hatte: Das auf dem Fahrersitz trug Kunsthaar. Und war zu einheitlich blass und glatt. Obwohl es sich bewegte, schien es unbeweglich: Auf dem Fahrersitz saß kein Mensch. Aber die Gummipuppe, die da ihre vorgestreckten Arme ein bisserl patschert übers Lenkrad geschoben hatte ruckelte. Rhythmisch.
Ich blieb stehen und sah genauer hin. Irrtum ausgeschlossen: Da saß eine Aufblaspuppe aus dem Sexshop. Ihre Stirn berührte beinahe die Windschutzscheibe. Ihre Arme stauchten sich zwischen Armaturenbrett und Glas. Und die Puppe wackelte. Ich lachte. Der Hund sah mich fragend an - er wollte ganz eindeutig weiter laufen: Die Hundezone, weiß er, ist von hier aus nicht einmal mehr einen Kilometer weit weg.
Roter Kopf
Aber ich stand und starrte den Wagen an. Und plötzlich tauchte von hinter der Schulter der Gummipuppe der Grund ihres Ruckelns auf. Ein Kopf. Männlich. Er dürfte einem Mann zwischen 40 und 50 gehört haben. Und obwohl es unter der Autobahn immer ein bisserl dämmrig ist und das Licht im Wagen nicht gerade gleißend hell war, sah ich, dass sein Kopf rot war. Fast schon orange.
Ich lief weiter. Im Nachhinein rede ich mir ein, dass ich Mitleid mit dem Ertappten hatte. Aber das stimmt nicht: Ich war nur zu schüchtern und zu perplex, um zu bleiben, näher zu treten und die Peinlichkeit des Momentes richtig auszukosten. Oder gar mit scheinheiligem Augenaufschlag zu fragen, ob denn wirklich alles in Ordnung sei - oder ob das Paar eventuell Hilfe brauche.
A. jedenfalls war dann ein bisserl enttäuscht. Die Chance mit einem Gummipuppenpenetrator zu plaudern, biete sich schließlich nicht jeden Tag. Das hätte ich auskosten müssen. Andererseits meint, A., hätte sie sich bei dem Mann dann schon auch bedankt. Weil es einen Unterschied macht, ob einer unter Brücke mit einer Puppe oder einem minderjährigen Junkiemädchen spielt. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 15. Jänner 2009)