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"Es haben sich seit der letzten Programmdiskussion im Bereich der Familie die Verhältnisse des Zusammenlebens verändert. Wir müssen überprüfen, ob wir da noch auf der Höhe der Zeit sind."

Fritz Kaltenegger ist Anfang Dezember die Nachfolge von Hannes Missethon als ÖVP-Generalsekretär angetreten. Der Kontakt zur SPÖ sei seither von seiner Seite "lose", sagt er im Interview mit derStandard.at. Vielmehr konzentriert sich Kaltenegger auf den Neuerungsprozess innerhalb der eigenen Partei. Ziel der ÖVP ist es, beim nächsten Parteitag ein neues Parteiprogramm vorzulegen, in dem einige Positionen erneuert dargestellt werden, etwa die Verhältnisse des Zusammenlebens bei Familien. Letzteres ist auch Thema bei der Klausur der ÖVP-Regierungsmannschaft, die am Mittwoch im Burgenland startet. Bei der Homo-Ehe glaubt Kaltenegger, dass die Frage nach einer Zeremonie am Standesamt zu weit geht. Trotzdem solle bis Ende des Jahres die rechtliche Gleichstellung von "Paaren welcher Art auch immer"geregelt sein. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

derStandard.at: Seit gestern sind Arigona Zogajs Geschwister wieder in Österreich. Sollen sie bleiben dürfen?

Kaltenegger: Die Rückkehr zeigt, dass die darin involvierten Personen keinen Respekt vor den österreichischen Behörden haben. Sie nehmen die Entscheidungen der Behörden und österreichischen Richter nicht ernst. Die Prüfung der Verfahren und der Zuständigkeiten obliegt aber den zuständigen Behörden und niemandem sonst.

derStandard.at: Die ÖVP bezieht im Fall Zogaj klar Position. Warum hat seitens der ÖVP niemand den Mumm, bei den Radikalismus-Vorwürfen rund um Martin Grafs parlamentarische Mitarbeiter stärker aufzutreten?

Kaltenegger: Die ÖVP ist, was diese Frage betrifft, sehr klar aufgetreten. Es war eine Initiative unseres zweiten Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer, sich dieses Themas innerhalb der Präsidiale anzunehmen. Das Gespräch ist vergangene Woche erfolgt. Damit haben wir uns sehr klar gegenüber dem Gedankengut abgegrenzt.

derStandard.at: Und das reicht Ihnen?

Kaltenegger: Es hat eine Klarstellung von Graf gegeben. Alles was sonst noch zu tun ist, ist in seiner Verantwortung.

derStandard.at: Sie sind jetzt seit einigen Wochen im Amt und haben sicher schon Gelegenheit gehabt, sich einzuarbeiten. Von bösartigen Presseaussendungen in Richtung SPÖ haben Sie bisher Abstand genommen.

Kaltenegger: Wir haben - ausgelöst durch die Finanzkrise - unglaubliche Herausforderungen zu bewältigen. Mittlerweile hat die Krise auch die Realwirtschaft erfasst, die Arbeitslosenzahlen steigen. Deswegen ist unser Credo, einerseits die Krise zu meistern und die Wirtschaft zu stärken, und andererseits den Menschen zu helfen. Es geht nicht um das Parteienhickhack, das wir in den vergangenen Jahren gesehen haben.

derStandard.at: Wie schaut die Zusammenarbeit mit der SPÖ aus?

Kaltenegger: Wir haben einen losen Kontakt. Ich habe mich mit Laura Rudas bereits getroffen, ich werde mich diese Woche mit Günther Kräuter treffen. Aber unser Job ist es, unsere jeweilige Regierungsmannschaft klar im Profil zu positionieren. Deswegen brauch ich nicht jeden Tag mit Günther Kräuter zu telefonieren. Die Zusammenarbeit auf Regierungsebene ist eine andere Geschichte. Das läuft über die Koordinierung bzw. über die Klubs.

derStandard.at: Sie konzentrieren sich auf die Arbeit intern und haben gleich zu Beginn gemeint, die ÖVP zu erneuern und „programmatisch in der nächsten Zeit einiges zu diskutieren". Heißt das, es wird nach 1995 ein neues ÖVP-Programm geben? Wann wird es soweit sein?

Kaltenegger: Es gibt den klaren Auftrag von Josef Pröll, die Programmarbeit wieder verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Ich bin jetzt gerade dabei, einen strategischen Prozess zu definieren. Wir wollen im Frühjahr mit einem großen Programmkongress starten, wo wir die Diskussion beginnen. Die Basis sind einerseits das gültige Programm von 1995 und andererseits auch die Ergebnisse des Perspektivenprozesses.

Das Parteiprogramm von 1995 ist in vielen Bereichen - zum Beispiel was die Position zu Europa betrifft - sehr, sehr klar. Da sind wir absolut auf der Höhe der Zeit. Aber es gibt andere Themen, wo wir uns weiterentwickeln müssen.

derStandard.at: Wie lange dauert so ein Erneuerungsprozess?

Kaltenegger: Der Prozess wird zumindest einmal zwei Jahre in Anspruch nehmen. Das gibt auch genügend Zeit, um die finalen Arbeiten abzuschließen, um am nächsten regulären Parteitag ein neues Parteiprogramm vorzulegen und zu beschließen.

derStandard.at: Wo hapert es denn konkret am momentanen Programm?

Kaltenegger: Es haben sich seit der letzten Programmdiskussion im Bereich der Familie die Verhältnisse des Zusammenlebens verändert. Wir müssen überprüfen, ob wir da noch auf der Höhe der Zeit sind. Diskussionen muss es auch rund um den wichtigen Bereich der Neuen Selbstständigen geben. Es kann nicht sein, dass eine Volkspartei bestimmte Bevölkerungsgruppen in ihrer Programmarbeit nicht ausreichend berücksichtigt.

derStandard.at: Gerade deshalb, weil die ÖVP alle ansprechen will, hat man das Gefühl, es ist nicht klar wofür die Partei wirklich steht. Sie ist ein Sammelsurium von neoliberalen, wertkonservativen und pragmatischen Einstellungen, die eigentlich nicht aufeinander abgestimmt sind. Wie wollen Sie es schaffen, den Bogen zu spannen?

Kaltenegger: Durch intensive Diskussion und Auseinandersetzung und letztendlich auch durch eine klare Entscheidung, durch die man dann am Ende des Prozesses den Weg vorgeben muss. Dafür ist Josef Pröll bekannt, dass er zuerst diskutiert und zuhören will und seine Positionen in die Diskussion einbringt, am Ende aber einen klaren Weg geht und Lösungen in Umsetzungen bringt.

Wir haben natürlich als Volkspartei eine breite Aufstellung, was unsere Interessensgruppen betrifft. Das ist auch ein Vorteil. Es wir dadurch aber auch der Eindruck erweckt, dass wir nicht explizit für oder gegen eine bestimmte Position stehen.

derStandard.at: Erhard Busek hat gemeint, die Art der Organisation innerhalb der ÖVP, die Bündestruktur, stimme nicht mehr. Soll man die traditionelle Struktur überdenken?

Kaltenegger: Die Struktur der Bünde aber auch der Landesorganisationen, die die Bundesorganisation tragen, ist Teil der Geschichte der Volkspartei und wird auch ein Teil der Zukunft der ÖVP bleiben. Das Zusammenspiel und den Interessensausgleich zwischen den Gruppen müssen wir aber besser organisieren. Aber es muss ja nicht heißen, dass dort wo diskutiert wird, auch immer Streit ist.

derStandard.at: Aber ist es zum Beispiel zeitgemäß, dass der Bauernbund so starkes Gewicht hat? Es gibt immer weniger Landwirte in Österreich, das ist nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung.

Kaltenegger: Genauso wenig wie bei Wahlen nicht die Größe von bestimmten Gruppen das Ergebnis von Wahlen vorhersehen lässt, genauso wenig kann man den Einfluss daran messen, wie groß die vertretene Bevölkerungsgruppe ist. Die Themen, die aus dem ländlichen Raum kommen, sind ja durchaus breiter gefächert und betreffen nicht nur die Landwirte. Der ÖAAB richtet sich auch nicht nur an Beamte, und der Wirtschaftsbund nicht nur an die Industrie.

derStandard.at: Am Mittwoch geht die ÖVP in Klausur. Stimmen Sie die MinisterInnen schon auf die Programmerneuerungen ein?

Kaltenegger: Die Regierungsmannschaft trifft zusammen, um die Regierungsarbeit zu koordinieren und die Themen vorzubereiten. Wir wollen am Mittwoch das Familienpaket finalisieren und es wird auch um Konjunkturbelebungsmaßnahmen gehen. Im Familienbereich geht es darum, verschiedene Maßnahmen der Steuerentlastung - eine Art 15. Gehalt für Familien - zustande zu bringen. Das heißt, ein Gehalt für mehr Kaufkraft zu haben. Das soll ein bewusstes Signal in Richtung Familien sein, weil die ÖVP als Familienpartei in Zukunft erfolgreich sein will.

Wir wollen uns auch den Vorbereitungen auf die Europawahl im Juni widmen. Europa braucht ein rot-weiß-rotes Gesicht. Wir müssen unsere österreichischen Interessen in Europa bestmöglich einbringen, damit auch die Menschen in Österreich Vorteile aus der EU ziehen.

derStandard.at: Gibt es schon einen ÖVP-Spitzenkandidaten?

Kaltenegger: Nein, es ist noch ausreichend Zeit. Wir werden intern beraten, mit welchem Team wir in die Europawahlen gehen und wer dieses Team anführen wird.

derStandard.at: Bei der Homo-Ehe haben Sie schon mehrmals kundgetan, dass es keine Zeremonie am Standesamt geben wird. Ist das endgültig?

Kaltenegger: Hier gibt es einen klaren Zeitplan im Regierungsprogramm. Eine Arbeitsgruppe soll bis Ende des Jahres die rechtliche Gleichstellung von Paaren welcher Art auch immer in Umsetzung bringen. Ich rechne damit, dass da spätestens Ende des Jahres erledigt sein wird. Die Ministerinnen Fekter, Bandion-Ortner und Heinisch-Hosek werden das einer Lösung zuführen. Die gesellschaftspolitische Diskussion wird rund um dieses Thema dann wieder hochkommen. Was wir an Rückmeldungen bekommen ist es so, dass die Frage nach einer Zeremonie am Standesamt zu weit geht. Aber man soll der Diskussion nicht vorgreifen. Das Ziel muss volle rechtliche Gleichstellung sein, aber trotzdem muss man der Ehe eine entsprechende Wertschätzung entgegenbringen. (derStandard.at, 13.1.2009)