Brüssel/Wien - Der Slowakei könnte wegen der geplanten neuerlichen Inbetriebnahme seines vor zwölf Tagen abgeschalteten zweiten Reaktors im AKW Jaslovske Bohunice ein Vertragsverletzungsverfahren drohen. Die Abschaltung war im EU-Beitrittsvertrag des Landes vereinbart worden. Eine Reaktivierung wäre ein Bruch von EU-Recht, deswegen fordern Bohunice-Gegner die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. Selbst wenn die EU-Kommission den Forderungen folgen sollte, bedeutet das jedoch nicht, dass die Regierung in Bratislava (Preßburg) umgehend vor Gericht gezerrt wird.

Das Verfahren ist dreistufig. Erst würde Bratislava ein vertraulicher Mahnbrief, das sogenannte "Fristsetzungsschreiben", gesandt, in dem die Regierung der Slowakei aufgefordert wird, ihre vom EU-Recht abweichende Haltung ausführlich zu begründen. Sollten die dargelegten Argumente die Kommission nicht überzeugen, schreibt die Kommission bzw. der zuständige Kommissar - in diesem Fall wäre dies wohl Energiekommissar Andris Piebalgs - eine sogenannte begründete Stellungnahme. Darin werden die Vorwürfe der Kommission erneut ausführlich dargelegt. Zudem wird der Slowakei eine neue Frist zur Beseitigung des Verstoßes gesetzt.

Erst nach diesem verpflichtenden Vorverfahren wird üblicherweise auch die Öffentlichkeit informiert und es geht vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Straßburg. Bis zu einem Urteil könnten dann erneut mehrere Jahre vergehen - siehe Uni-Quoten-Verfahren, VW-Gesetz oder den Streit um die Maschengröße der französischen Fischernetze - und Bratislava könnte das erste Urteil anfechten. Erst wenn der betroffene Mitgliedsstaat ein rechtskräftiges Urteil ignoriert, kann die Kommission eine zweite Verurteilung durch den EuGH anstrengen, in deren Folge ein Zwangsgeld verhängt werden kann.

Um zügig gegen eine EU-Rechtsverletzung vorzugehen, hat die EU-Kommission außerdem das Mittel der einstweiligen Verfügung in der Hand. Der EuGH könnte dann die Schließung des umstrittenen Reaktors in Bohunice fordern. Folgt die Slowakei dem nicht, gibt es allerdings keine Sanktionen.

Die Kommission ist als "Hüterin der Verträge" (Art. 211 EG) grundsätzlich verpflichtet, gegen objektive Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten einzuschreiten. Außerdem kann jede Person und Körperschaft eine Beschwerde bei der EU-Kommission einbringen, wenn sie EU-Recht verletzt sehen. Die Kommission entscheidet dann über weitere Schritte.

Wörtlich heißt es in Artikel 226 des EG-Vertrags: "Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Kommt der Staat dieser Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen."

Tempo und Umgang mit Vertragsverletzungsverfahren liegen aber allein im politischen Ermessen der Kommission. Alle bisherigen Versuche dagegen mit Untätigkeitsklagen, Nichtigkeitsbeschwerden bzw. Schadensersatzforderungen vorzugehen, wurden vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen. Davon profitierte auch Österreich schon bei der Brennermaut oder bei der umstrittenen Quotenregelung für ausländische Medizin-Studenten an österreichischen Universitäten. Letztere legte die EU-Kommission für fünf Jahre - bis 2012 - auf Eis. (APA)