Wien - Mit der Unübersichtlichkeit der urbanen Ballungsräume wachsen den "posttheatralen" Bühnenkünsten neue, mehr oder weniger plausible Aufgaben zu. Kollektive wie die deutsch-englische Performancetruppe Gob Squad zum Beispiel betätigen sich als lupenreine Ethnologen.

Drei Damen und ein Herr nutzen das brut Künstlerhaus als Basis-Camp, um von ihm aus gegen 19 Uhr in das frostklirrende Wien auszuschwärmen. Handkameras sind die ungerührten Zeugen eines Stadterkundungslaufs, in dessen Rahmen wildfremde Menschen geherzt und geküsst werden sollen.

Das Pathos, das dem Projekt Super Night Shot zugrundeliegt, speist sich aus der herzerwärmenden Idee, "verfrorene" Verhältnisse mit sozialtechnischen Mitteln aufzubrechen. Man wirft sich mit unterschiedlichem Geschick anonym bleibenden Passanten an den Hals. Man versucht, Kommunikation zu erzwingen und dabei Spuren in der Stadtlandschaft zu hinterlassen.

Die Erkundung einer "fremden", obendrein für die Unzugänglichkeit ihre Bewohner berüchtigten Stadt soll nicht nur Ergebnisse von "Nähe" zeitigen. Gob Squad persiflieren auch noch die allgegenwärtigen Verwertungstechniken: Sie imtieren die Praxis jener Kommerzagenturen, die die soziale Kontaktaufnahme als ersten Schritt zur Legung eines Verkaufsangebotes definieren.

Ein hinreißender kleiner Theater-Essay ist Gob Squad gelungen, der zeitversetzt an die Endverbraucher im Künstlerhaus weitergereicht wird: um 20 Uhr, wenn die Stadtforscher durchgefroren in ihr Basislager zurückkehren. Die Meute der Zuschauer begrüßt die leicht geschürzten Erkundungsläufer mit frenetischem Beifall. Die anschließende Vorführung der strikt auf eine Stunde Laufzeit begrenzten Videos via Splitscreen sichert die Authentizität eines unwiederholbaren "Events", der um die Praktiken der Avantgarde Bescheid weiß und trotzdem durchlässig genug ist, um einer reizenden Wienerin reiferen Alters ein unverhofftes Coming-out als küssender Königin der Nacht zu bescheren.

Gob Squad sind mit Hasenmasken und Regenschirmen gekommen, um die "wahren Bedürfnisse der Menschen hier" offenzulegen. Schwer zu sagen, ob der Pflasterstrand mit theatralischen Manifestationen wie dieser reizenden Miniatur wirklich aufzubrechen ist. Super Night Shot, eine Koproduktion der Truppe mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, bricht das Eis der Gleichgültigkeit im Nu. Sogar das in Wien. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 12.01.2009)