So zynisch es für manche Ohren klingt: Die wenigen Militäranalysen, die es bereits zur Gaza-Offensive gibt, sind sich im Prinzip einig, dass Israels Militär die Fehleinschätzungen und taktischen Patzer des Libanon-Kriegs von 2006 nicht wiederholt hat. Auch das damalige Kommunikationsdesaster ist ausgeblieben, alles läuft hochprofessionell. Ist also, vom israelischen Standpunkt aus gesehen, alles in Ordnung, alles klar?

Ha'aretz zitiert einen israelischen Militär mit den Worten, das Selbstvertrauen der angeschlagenen Armee wiederherzustellen sei das "sekundäre Ziel" der laufenden Operation - und dies sei bereits erreicht. Für die israelische Gesellschaft ist zu hoffen, dass diese Darstellung stark verzerrt ist: Denn eine Armee eines demokratischen Landes dürfte nicht einmal "sekundär" eigene Ziele verfolgen. Unangenehme Assoziationen einer ferngesteuerten politischen Führung könnten aufkommen, wenn die politischen Absichten einer Operation von diesem Ausmaß, das "primäre Ziel", unklar blieben. Wo ist das strategische Denken angesiedelt, in der Regierung oder in der Armeeführung?

Die politische Führung bekommt jedenfalls den ersten ernstzunehmenden Druck, eine Entscheidung zu treffen, zu spüren, und zwar von außen: Die USA drängen jetzt auf einen Waffenstillstand, und zwar ohne den sonst üblichen Zusatz "wann immer es passt". Abgesehen von der 2006er-Lektion ist klar, dass Washington seine eigenen Bedürfnisse hat.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der gute Mensch von Ramallah, ist schwerstens beschädigt und mit ihm das ganze Konstrukt "Friedensprozess", ein Pfeiler der US-Außenpolitik in der Region. Darüber hinaus muss Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, der den Waffenstillstandsplan vorgelegt hat, zu einem Erfolg verholfen werden. Nicht dass die "gemäßigten arabischen Regime" unterzugehen drohen - dazu sitzen sie viel zu fest im Sattel, und unter anderem durch Mittel, die nichts mit "Mäßigung" zu tun haben -, aber ihre privilegierten Beziehungen zu den USA müssen hin und wieder bestätigt werden.

Aber noch einen Nebenschauplatz - zumindest ist er das heute - gibt es für die USA: den Irak. Dort hat der radikale Schiitenführer Muktada al-Sadr als Rache für Gaza zu Attacken gegen die US-Armee aufgerufen. Auch Premier Nuri al-Maliki gehört zu jenen arabischen Regierungschefs, die sich besonders drastisch geäußert haben. Folgen des Gaza-Konflikts im Irak, das ist das Letzte, was die USA gebrauchen können.

Und den Umstand, dass die gefährlichste Front relativ ruhig geblieben ist, sollte man auch nicht überstrapazieren. Aus dem Südlibanon Donnerstagfrüh auf Libanon abgefeuerte Katjuschas stammten offenbar nicht von der schiitischen Hisbollah, sondern von einer Palästinensergruppe. Israel hat zurückgeschossen - und offenbar die libanesischen Erklärungen akzeptiert.

Hisbollah-Chef Nasrallah hat großmäulig gegen Israel mobilisiert - die bevorstehenden Wahlen im Libanon dürften ihm aber dann doch wichtiger sein. Auch die Hisbollah hat gelernt. Zwar hatte ihr Israels Krieg 2006 erst einmal einen Popularitätsgewinn beschert - den sie jedoch zum Großteil verspielte, als sie 2008 den Libanon an den Rand des Bürgerkriegs brachte. Trotzdem steht sie jetzt politisch stark da, es ist keine Rede von der eigentlich vorgesehenen Entwaffnung - aber all das könnte sich schnell ändern, wenn sie den Libanon in einen neuen Krieg zerrt.

Hoffentlich hält diese pragmatische Wende an. Der Moment kann schnell da sein, in dem der drohende Gesichtsverlust alle Vernunftaspekte überwiegt. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch wichtig, was Syrien und Iran tun. Oder besser, was sie nicht tun. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2009)