London - Es war wohl der ungewöhnlichste Ort, an dem je Blut gespendet wurde. Obwohl es am Gipfel selbst nicht geklappt hatte, denn da herrschten Temperaturen von minus 25 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten jenseits von 40 km/h. So entblößten vier Bergsteiger auf einer Höhe von 8400 Metern ihre Waden zugunsten der medizinischen Forschung und ließen sich Blut aus einer Arterie abzapfen.

Die Blutspender hatten bei der Expedition zum höchsten Berg der Erde (8848 Meter) Sauerstoffmasken benutzt und diese 20 Minuten vor dem kleinen Eingriff abgelegt. Der Sinn des Ganzen: "Indem wir gesunde Menschen in großer Höhe untersuchen, in der Sauerstoff knapp ist, erfahren wir etwas über physiologische Veränderungen im Körper", so Expeditionsleiter Mike Grocott vom University College London. Das eingesammelte Blut wurde dann nach einem zweistündigen Schnellabstieg in das improvisierte Labor auf 6400 Meter Seehöhe gebracht, wo vor allem die Sauerstoffwerte der Bergsteiger bestimmt wurden.

Wie die Forscher nun im US-Fachblatt "New England Journal of Medicine" (Bd. 360, S. 140) berichten, ermittelte man Weltrekordwerte: Im Durchschnitt wurden bei den Alpinisten 3,28 Kilopascal gemessen, der geringste ermittelte Wert lag bei zumindest für Fachleuten ziemlich unglaublichen 2,55 Kilopascal. Normal sind zwölf bis 14 Kilopascal. Wer einen Wert von weniger als acht Kilopascal aufweist, gilt üblicherweise bereits als ernsthaft krank.

Crocott hofft, dass durch diese neuen, nicht ganz unerwarteten Erkenntnisse die Therapie bei Intensivpatienten verbessert werden kann , denn dort sind niedrige Sauerstoffspiegel fast immer ein Problem. Das gelte insbesondere für Personen, die an akuten Atemnotsyndromen, Mukoviszidose, Emphysemen, septischen Schocks und ähnlichen schweren Erkrankungen leiden. Es seien allerdings noch weitere Untersuchungen nötig, bis es zu Anwendungen in der klinischen Praxis kommen kann, so der bergtüchtige Mediziner. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 8. 1. 2009)