Eine Spekulationssteuer, mit der das Zocken unattraktiv gemacht wird, hat für Kontrollbank-Chef Rudolf Scholten nicht oberste Priorität.

Foto: Standard/Andy Urban

Kontrollbank-Chef Rudolf Scholten hält spekulative Geschäfte nicht per se für unmoralisch. Vor der Verführungsmaschinerie mit Traumrenditen will er die Menschen schützen, sagt er im Gespräch mit Luise Ungerboeck.

***

STANDARD: Sie sind Aufsichtsratspräsident des Filminstituts. Sind wir derzeit wirtschaftlich nur in einem schlechten Film oder ist die Marktwirtschaft am Ende?

Scholten: Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass eine der Voraussetzungen zur Beurteilung unserer gegenwärtigen Situation ist, dass sie sich schlecht für diese, Sie verzeihen, ziemlich schnoddrige Verkürzung eignet. Diejenigen, die jetzt schon wieder genau wissen, was die Ursachen für diese Krise sind, sind mit schuld an ihr, weil sie früher auch schon immer genau gewusst haben, was es ist. Ich nehme an, dass es gut wäre, wenn man es nicht nur als Krise betrachtet - im Sinn von Störung, die vorüberzieht, und danach beginnt ein neues Spiel -, sondern als Chance, grundsätzlich neue Spielregeln zu machen.
Aber vielleicht ist auch nur der Film gerissen, aber das wäre dann eine vergeudete Chance, denn Opfer kostet die Krise in jedem Fall.

STANDARD: In welchem Sinn wäre es eine vergeudete Chance?

Scholten: Im Wesentlichen läuft es doch darauf hinaus, dass wir uns in einer Form auf quantitatives Wachstum verlegt und konzentriert haben, das irgendwann die Qualität erschlägt. Das ist ja letztlich der Widerspruch, um den es spätestens seit dem Club of Rome geht, nicht nur in ökologischen Fragen. Das alte Beispiel "Ich weiß nicht, wohin ich will, aber dafür bin ich schneller dort" , das hat die Welt beherrscht. Vielleicht sollten wir jetzt mehr über Ziele und weniger über Reisegeschwindigkeiten sprechen.

STANDARD: Aber Wachstum ist doch ein Grundpfeiler unseres System. Und der ist schwer erschüttert...

Scholten: Ich weiß schon, betriebswirtschaftlich oder volkswirtschaftlich betrachtet ist es ein Riesenunterschied. Aber letztlich muss es ein Maßstab der Diskussion sein, dass etwas, das sich im individuellen Leben bewährt, für ein Gruppenleben nicht ganz falsch sein kann, es ist also auch ein Korrektiv. Im individuellen Leben, da werden Sie mir recht geben, ist Wachstum für denjenigen, dem es schlecht geht, eine wesentliche Chance, um aus diesem Zustand herauszukommen. Er möchte mehr verdienen, mehr Sicherheit, mehr zum Leben haben. Zugleich ist es aber völlig verständlich, dass man sich zu diesem Jahreswechsel wünscht, es möge nicht schlechter werden. aber man wünscht sich nicht explizit sieben Prozent Wachstum. Individuell ist ein Stabil-Halten also vielleicht sogar ein Erfolg.

STANDARD: Dieses ein "Level-halten-Können" setzt doch auch Wachstum voraus...

Scholten: Nicht unbedingt. Zu mir hat ein privater Unternehmer kürzlich gesagt, das Risiko, das er in Kauf nehmen müsste, um eine Chance aufzumachen, dass es seinem Unternehmen noch besser ginge, sei so groß, dass er damit den guten Zustand gefährden würde.

STANDARD: Diese Firma muss aber nicht an der Börse reporten, oder?

Scholten: Stimmt, das ist das große Privileg des Privatunternehmers. Wäre er in die Publikumsstimmung eingebettet, müsste er ständig Tempo machen. Daher waren wir offensichtlich in der Situation, dass Qualität mit Tempo erschlagen wurde. Ich rede nicht gegen Wachstum, aber die Metapher der 25-prozentigen Rendite war nicht nur auf das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer bezogen. Anders gesagt: Substanz war keine Kategorie mehr, entscheidend war nur das nächste Quartal.

STANDARD: Worin besteht die Chance dieser Krise?

Scholten: Sozialromantisch könnte man sagen: Die Krise führt zur Entschleunigung und so weiter. Das glaube ich aber nicht. Denn diejenigen, die jetzt gezwungenermaßen in die Box zurückmüssen, die sitzen jetzt drin mit ihren Motoren und warten nur mehr darauf, auf die Rennbahn zurückzukönnen. Das wäre schade, denn dann wäre die Chance verpasst, und Geld würde das Hauptprodukt des Handels bleiben, was insgesamt ein Unsinn ist. Geld ist ein Mittel zum Zweck.

STANDARD: Was muss reguliert werden? Sind Derivate und andere Luftfinanzgeschäfte zu verbieten?

Scholten: Das wird nicht funktionieren, ich halte das auch nicht für sinnvoll. Spekulative Geschäfte sind ja nicht per se unmoralisch. Wir können nicht verhindern, dass jemand darauf wettet, ob sein Partner morgen einen Sessel oder eine Tonne Getreide liefert - oder nicht. Was man aber kann, ist das Publikum schützen. Die Verführungsmaschinerie mit Traumrenditen kann man sehr wohl verhindern.

STANDARD: Ein Bürger, der brav private Pensionsvorsorge macht, kann doch nicht beeinflussen, ob ein Fondsmanager hochriskant wettet oder Risikoaktien kauft und dann ist alles weg. Vielleicht sollte die Kontrollbank künftig Emissionsprospekte kontrollieren?

Scholten: Wir beherbergen sie nur, weil sie bei uns hinterlegt werden müssen, wir sind aber nicht Aufsichtsbehörde. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass man regulieren kann, ob jemand den versprochenen Sessel liefern kann. Aber Regulierung sollte kontrollieren, ob und mit welchen Versprechungen Informationsdefizite eines Geschäftspartners ausgenützt werden.

STANDARD: Mehr nicht? Eine Spekulationssteuer fänden Sie als Sozialdemokrat nicht angebracht?

Scholten: Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, aber nicht die einzige. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.1.1.2009)