Ungarn - Gas für 70 Tage: In Ungarn schaut man wie gebannt auf das Thermometer, denn jeder weitere Minusgrad erhöht den Gaskonsum landesweit um 1,5 bis zwei Millionen Kubikmeter. Dies ist ungefähr die Menge, die gerade noch aus einer kleinen Pipeline kommt, die aus Russland über die Ukraine, Slowakei und Österreich nach Ungarn führt.

Ansonsten ist auch Ungarn vom russischen Gas abgeschnitten. Der Reservespeicher mit 3,5 Milliarden m3 Gas soll laut Energieminister Csaba Molnar noch 70 Tage ausreichen. Nachdem sich am Dienstag bereits große Industriebetriebe einschränken mussten, rechnete Ungarn am Mittwoch mit einem Gasverbrauch von 64 Mio. m3 pro Tag. Davon sollen 52 Mio. aus den nationalen Gasspeichern kommen, neun Mio. m3 aus der eigenen Förderung und drei Mio. aus der Pipeline aus Österreich. Doch dort soll die Zufuhr inzwischen auf 1,5 Mio. m3 gesunken sein.

Die ungarische Suzuki-Tochter in Esztergom hat wegen ausbleibender Gaszufuhr die Produktion stillgelegt, ebenso mehrere Ziegelfabriken. Der Budapester Flughafen musste seine Heizung von Gas auf Öl umstellen. Audi in Györ, Ungarns größter Arbeitgeber, ist nicht betroffen, weil der Autobauer nur elektrische Energie benutzt.

Bulgarien - Kalte Öffis in Sofia

Der Lieferstopp von Gasprom hat den Alltag in Bulgarien gelähmt. Sofia sah sich gezwungen, den Verbrauch massiv zu kürzen und auf alternative Brennstoffe umzustellen. Die Gasreserven sollen noch zwei Monaten reichen.

Im Unterschied zu anderen betroffenen Ländern hat Bulgarien keine alternativen Transitwege für Gaslieferungen. Somit scheint es unter allen Abnehmern Gasproms von dem Konflikt Ukraine-Russland am meisten betroffen zu sein. Präsident Georgi Parwanov kündigte demnächst eine Forderung an Russland auf finanzieller Kompensation an.

Viele Wirtschaftsbetriebe wie der Akkubetrieb Monbat oder die Brotwarenfabrik Slawjanka haben ihre Produktion bereits stark reduziert oder sogar eingestellt. Weitere große Gasabnehmer sind dabei, ihre Energieversorgung auf Erdöl und -produkte umzustellen. Infolge dürften die Preise bestimmter Produkte wie Brot in den nächsten Tagen um fünf Prozent steigen.

Mehr als 70 Schulen wurden bereits geschlossen, viele Krankenhäuser müssen Operationen verschieben. Als Sparmaßnahme wird in der Hauptstadt Sofia die Heizung in den öffentlichen Verkehrsmitteln abgestellt, Parks-und Fassadenbeleuchtung ausgeschaltet.

Polen - noch volle Lager

Durch die Pipeline Sojus (Bruderschaft), die über die Ukraine sibirisches Erdgas nach Europa bringt, kommt kein Gas mehr an. Dennoch beruhigen Polens Wirtschaftsminister und Gasversorger, die Gasversorgung der Endverbraucher sei nicht gefährdet. Die Gasspeicher seien zu 80 Prozent gefüllt, auch ohne weitere Lieferungen könne Polen bis Anfang März durchhalten. Zudem leite Russland einen großen Teil des für Polen bestimmten Gases auf die durch Weißrussland führende Jamal-Pipeline um.

Problematisch könne die Lage allerdings werden, wenn die derzeitige Kälte von bis zu minus 25 Grad andauere. Normalerweise verbrauche Polen pro Tag rund 45 Millionen Kubikmeter, derzeit seien es 55 Millionen Kubikmeter.

Polen bezieht 41 Prozent seines Gases aus Russland, 20 Prozent aus Mittelasien, vier Prozent aus Norwegen und drei Prozent aus Deutschland. Das Land hat auch eigene Gasvorkommen in Schlesien und Südostpolen. 32 Prozent seines Verbrauchs deckt Polen aus eigener Gasförderung.

Anders als die liberal-konservative Regierung Polens, schlägt Polens Präsident Lech Kaczyñski lautstark Alarm. Die Europäische Union rede zu weich mit Russland. Diese Politik führe zu keinem befriedenden Resultat.

Serbien - wenig Reserven

Die Einstellung der Erdgaslieferung aus Russland traf Serbien gerade am 7. Jänner, dem serbisch-orthodoxen Weihnachtstag. Tausenden Bürgern wurde die Fernheizung zugedreht. Statt notwendigen zwölf Millionen Kubikmeter Gas verfügt Serbien derzeit nur über eine Million m3 aus eigenen Quellen. Rund 80.000 Menschen in der nordserbischen Provinz Vojvodina frieren, weil die Gaslieferungen aus Russland ausbleiben.

Große Industriebetriebe haben die Arbeit eingestellt. Die serbische Regierung ordnete an, wo immer es geht, die Versorgung mit Erdgas durch Heizöl zu ersetzen. Das Energieministerium appellierte, trotz sehr niedriger Temperaturen und reduzierten Fernheizungsbetriebs sparsam beim Stromverbrauch zu sein, weil die Gefahr eines Zusammenbruchs des Energiesystems drohe. Falls der Ausnahmezustand andauert, soll elektrischer Strom notfalls importiert werden.

Belgrad wandte sich an Ungarn mit der Bitte, der besonders betroffenen serbischen Provinz Vojvodina mit einer Gasanleihe unter die Arme zu greifen. Durch die Gaskrise ist es den Serben schmerzhaft klar geworden, wie wenig Sicherheit das im Vorjahr pompös unterzeichnete Energiestaatsabkommen mit Russland, bei dem der serbische Erdölkonzern NIS an die Gazpromtochter Gazpromneft verkauft wurde, dem Land bietet.

Slowakei - Alternative AKW

Restlos alle russischen Gaslieferungen über die Ukraine in die Slowakei sind am Mittwoch völlig zum Erliegen gekommen. Schon am Dienstag, als 70 Prozent weniger russisches Gas im Land ankam, hat die slowakische Regierung den Notstand ausgerufen.

Wie Wirtschaftsminister Lubomir Jahnatek am Mittwoch nach einer Krisensitzung in Bratislava sagte, könne den slowakischen Haushalten, Schulen und Krankenhäusern - bei einer Reduzierung des täglichen Gasverbrauchs um sechs Millionen Kubikmeter -die Gaslieferung bis zum Ende der heurigen Gassaison garantiert werden.

Großabnehmer in der Industrie müssen sich hingegen auf ein strenges Ausnahmeregime vorbereiten. Für sie wurde ein "Notstand des achtenGrades" ausgerufen. Unternehmen, die mehr als 60.000 Kubikmeter jährlich verbrauchen, müssen ihren Bedarf auf ein technologisches Minimum reduzieren.

Anders als für Tschechien gibt es für die Slowakei keine Alternative zu russischen Gaslieferungen über die Ukraine. Quellen zufolge wird ein erneutes Einschalten des Atomkraftwerks Jaslovské Bohunice überlegt, das erst zu Jahresbeginn vom Netz genommen wurde, um den Ausfall der Gaslieferungen teilweise zu ersetzten.

Slowenien - Versorgung nur bis Sonntag garantiert

In Slowenien könnten wegen des russischen Lieferstopps bereits Anfang kommender Woche die ersten Gasheizungen kalt bleiben. "Wenn es so bleibt und die Nachfrage nicht steigt, können wir eine ungestörte Versorgung bis Sonntag garantieren", sagte der Chef des slowenischen Gasversorgers Geoplin, Alojz Stana, am Mittwoch in Ljubljana. Ab Montag gelte, dass die Versorgungssicherheit "mit jedem Tag etwas geringer wird".

Geoplin ist für 95 Prozent der slowenischen Gasimporte verantwortlich. Mehr als die Hälfte des im Land verbrauchten Erdgases kamen bisher aus Russland. Das Versorgungsunternehmen hat auch 100 Millionen Kubikmeter Gas eingelagert, was der Menge entspricht, die in Slowenien in einem Monat verbraucht wird. Allerdings können die Lager nur schrittweise angezapft werden. Daher bemühe sich Geoplin um den zusätzliche Einfuhr von Erdgas aus Nachbarstaaten, aber auch vom bisherigen zweitgrößten Lieferstaat Algerien.

Geoplin bereitet sich derzeit auch auf eine Klage gegen den russischen Gaskonzern Gazprom vor, berichtete Stana. Im Liefervertrag sei nämlich eine Entschädigung für Ausfälle vorgesehen.

Die slowenische Regierung versucht indes, die Bürger zu beruhigen. Sollte es tatsächlich zu einem Engpass kommen, würden zunächst die Stromproduzenten und die Industriebetriebe zum Umstieg auf andere Energieträger gezwungen. Erst zum Schluss wären die Haushalte an der Reihe. Deren Bedarf könne allein durch das aus Algerien eingeführte Erdgas gedeckt werden, sagte der Energieexperte des slowenischen Wirtschaftsministeriums, Janez Kopac, gegenüber dem Fernsehsender RTV Slovenija.

Für Industriebetriebe könnte das Abdrehen des Gashahns verheerende Konsequenzen haben. So warnte der Aluminiumerzeuger Talum, ein gänzliches Aus der Gasversorgung hätte eine Zerstörung des Hochofens im Betrieb zur Folge. Man könne Erdgas nämlich nur zum Teil durch elektrischen Strom ersetzen, hieß es.

100.000 Haushalte in Bosnien frieren

Rund 100.000 Haushalte in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo sowie in den Städten Zvornik, Zenica und Visoko sind wegen des Gas-Lieferausfalls ohne Heizung geblieben, berichtete die bosnische Tageszeitung "Nezavisne novine". Die zwei größten Gasverbraucher im Lande, die Eisenhütte Arcelor Mittal in Zenica und die Tonerdefabrik Birac in Zvornik, mussten ihre Produktion auf ein Minimum reduzieren. Die beiden Unternehmen warnten vor verheerenden Folgen für ihre Betriebe.

In Sarajevo waren laut Medienberichten Elektroheizungen in den Geschäften schon am Dienstagabend vergriffen. Manch ein Stadtbewohner war bemüht, einen Heizkörper im etwa 130 Kilometer südlich gelegenen Mostar zu ergattern. Der Verkauf von Holz und Kohle stieg in Sarajevo um 50 Prozent, berichtete " Nezavisne novine". (APA/gl/rka/kl/dl/iva, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 8.1.2008)