Wien/Strasshof - Wolfgang Priklopil, der Entführer von Natascha Kampusch, soll 13 Jahre vor der Entführung der heute 20-jährigen Wienerin ein kleines Mädchen in Niederösterreich sexuell missbraucht haben. Die junge Frau habe sich erst vor kurzer Zeit gemeldet. Die Anzeige sei am 21. November 2008 bei der Staatsanwaltschaft Wien eingelangt, sagte Staatsanwaltschafts-Sprecher Gerhard Jarosch am Mittwoch zum Standard. Der ORF hat angekündigt, im TV-Magazin "Thema" kommenden Montagabend einen Bericht über die junge Frau auszustrahlen.


Priklopil, der nach der Flucht von Natascha Kampusch im August 2006 Selbstmord begangen hat, soll die Niederösterreicherin im Jahr 1985 im Alter von acht Jahren missbraucht und „begrabscht" haben, sagt Jarosch. Passiert seien die Übergriffe demnach in Strasshof, der Heimatgemeinde des Entführers, wo er auch Natascha Kampusch achteinhalb Jahre gefangen gehalten hat. Die Eltern der Frau sollen in der Gemeinde einen Schrebergarten gehabt haben.


Keine Ermittlungen


Da der Beschuldigte bereits tot ist, könne dem Vorfall nicht mehr nachgegangen werden, betonte Jarosch. Das Delikt wäre zudem bereits verjährt. Ermittlungen habe und werde es wegen dieser Anzeige nicht geben. Ein Zusammenhang zum Fall Kampusch bestehe nicht. Dass Opfer von sexuellem Missbrauch erst Jahre nach der Tat über die Geschehnisse sprechen könnten, komme häufig vor, sagt Jarosch.


Mit dem Opfer habe niemand Kontakt aufgenommen, sagte „Thema"-Präsentator Christoph Feurstein. „Es ist klar, dass der Fall verjährt ist." Durch die junge Frau könne man allerdings dem Wesen von Priklopil näher kommen. Klar sei, dass jemand irgendwie mit seiner kriminellen Karriere beginne, bevor es zum „Supergau" komme.

Überprüfung von vier Personen

Die im November eingeleiteten neuerlichen Ermittlungen rund um den Entführungsfall Kampusch sind laut Jarosch noch im Gange. Laut dem Bundeskriminalamt gibt es dabei noch keine Ergebnisse. Zuletzt hieß es, dass eine Überprüfung von vier Personen, gegen die strafbare Handlungen im Bereich Kinderpornografie (Paragraf 207a StGB) vorliegen könnten, durchgeführt werden müsse. Bei den Verdächtigen handle es sich nicht um Natascha Kampusch, deren Familie oder Menschen aus dem Umfeld Priklopils.


Brigitta Sirny, die Mutter von Kampusch, hat im November einen Zivilprozess gegen Martin Wabl gewonnen. Sie wollte auf diesem Weg erreichen, dass der pensionierte Richter nicht länger behaupten darf, sie sei an einem möglichen sexuellen Missbrauch sowie an der Entführung ihrer Tochter beteiligt gewesen. Wabl hat nun seinerseits wieder die Möglichkeit, gegen das nicht rechtskräftige Urteil zu berufen.

Kampusch Mutter entlastet

Wabl hatte schon mehrmals gegen Brigitta Sirny prozessiert, wobei sich die Rollen von Kläger und Beklagtem abwechselten. Beim letzten Prozess war auch Natascha Kampusch als Zeugin gehört worden. Sie hat ihre Mutter entlastet. Einen etwas zwielichtigen Eindruck hatte bei der Befragung im Rahmen der Verhandlung allerdings ein Bekannter des verstorbenen Entführers gemacht, gegen den nun gesondert ermittelt wird.


Die heute 20-jährige Natascha Kampusch wurde im Alter von zehn Jahren in Wien auf dem Schulweg entführt und mehr als acht Jahre lang von Wolfgang Priklopil in einem Kellerverlies in dessen Haus in Strasshof gefangen gehalten. Im August 2006 gelang ihr aus eigener Kraft die Flucht, ihr Kidnapper nahm sich daraufhin das Leben. (APA, fern, DER STANDARD Printausgabe 8.1.2009)