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Klaus Maria Brandauer live und in kreisrunden filmischen Momenten der Imagination aus Fernando Pessoas "Buch der Unruhe".

 

 

Foto: APA/Linz09/Tollerian

Linz - Heute wäre er ein Kunde für die Second Life-Möglichkeiten des Internet - dieser träumende Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, der sich gedanklich Identitäten anderer Personen einverleibt und "in den Häusern ihrer Persönlichkeiten" eine lebenswerte Bleibe findet. Er ist gleichsam ein Voyeur des Lebens, der "alles hinter einer Scheibe ungehindert beobachten und prüfen" möchte, "ohne je auf diese Scheibe verzichten zu müssen".

Der vielseitige niederländische Künstler Michel van der Aa (Komponist, Regisseur und Filmemacher) hat diese sich Biografien erträumende Figur aus dem posthum veröffentlichten "Buch der Unruhe" des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa herausgeschnitzt und in eine Art "Musiktheater für Schauspieler, Ensemble und Film" hineingestellt. Das etwas enigmatische Ergebnis gerät zum Dialog diverser Texte, Figuren und Genres, in dessen Mittelpunkt Klaus Maria Brandauer am Tischchen sitzend liest, dann wieder unruhig herumwandernd oder an der Rampe agierend routiniert Kostproben eines schauspielerischen Minimalismus bietet.

Man könnte das Ganze eine Art halbszenische Lesung mit Musik nennen. Hinzu kommt jedoch ein filmischer Teil, der diverse Figuren, imaginierte Identitäten des Erzählers, zum Leben erweckt. Szenen von Einsamkeit, Apathie und Nervosität, Momente, in denen Brandauer beschriebene Blätter wie zwanghaft zu Papierschiffchen faltet, sind zu sehen. Mitunter verdichtet sich das Geschehen, kommt es zu kontrapunktisch anmutenden Interaktionen zwischen Brandauer und der Filmfigur. Eine Geschichte ergibt dieses monologisierende Kreisen um sich selbst nicht - aber mitunter schöne Momentaufnahmen einer Reise durch ein Bewusstsein.

Die Musik (umgesetzt durch das links auf der Bühne postierte und akkurat spielende Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davies) ist ein bisschen starr in der Anlage. Zumeist pendelt sie zwischen flächiger Ruhe und nervöser, wiederkehrender Linearität, bisweilen verdichtet sie sich zu Momenten minimalistischer Repetition. Damit wäre sie immer noch konsequent in jenem abstrakten Rahmen, der die ganze Produktion ummantelt und eine gewisse stilistische Gesamtklammer bildet.

Insofern scheint der zweifache Ausflug in die Welt des portugiesischen Fado, bei dem Sängerin Ana Moura filmisch in Aktion tritt, als etwas kitschiger Austritt aus dem Duktus des Ganzen. Für diese Produktion ist das Linzer Kulturhauptstadtjahr übrigens schon zu Ende: Am Sonntag war die dritte und letzte Vorstellung. Was nach dem Buch der Unruhe bleibt, ist indes die neu eröffnete Hafenhalle09, gedacht für Theaterproduktionen des Jahres 2009 und mit ihrer funktionellen Aura wohl durchaus in der Lage, ihren Linz09-Job zu erledigen. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6.1.2009)