New York/Tel Aviv/Gaza  - Trotz der Eskalation der Gewalt im Gaza-Streifen hat sich der UNO-Sicherheitsrat nicht auf eine gemeinsame Linie im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern einigen können. Nach fast vierstündigen Beratungen sagte der amtierende Vorsitzende Jean-Maurice Ripert am Samstagabend (Ortszeit, Sonntag MEZ) in New York, es gebe eine "starke Übereinstimmung" bei den Mitgliedern, ihre ernsthafte Sorge über die Lage zu äußern. Die große Mehrheit - mit Ausnahme der USA - verlange eine sofortige Waffenruhe, die von allen Seiten voll respektiert werden müsse, sagte der französische Diplomat.

Keine Forderungen stellen, die nicht befolgt werden

Der amerikanische UNO-Vertreter Alejandro Wolff betonte dagegen, es schade dem Ansehen der Sicherheitsrats, Forderungen zu stellen, die nachher nicht befolgt würden. Israel sei ein Mitglied der Weltgemeinschaft. Sein Vorgehen dürfe nicht mit Aktionen einer Terrorgruppe wie der Hamas verglichen werden.

Mehrere UNO-Diplomaten berichteten, die USA hätten sich bei der Dringlichkeitssitzung hinter verschlossenen Türen geweigert, den Entwurf zu unterstützen. Erklärungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen müssen einstimmig fallen. Libyen hatte in seinem Textentwurf "große Besorgnis über die Eskalation im Gaza-Streifen insbesondere nach Beginn der israelischen Bodenoffensive" ausgedrückt. Alle Parteien wurden aufgerufen, eine sofortige Waffenruhe zu befolgen. Libyen ist das einzige arabische Land im UNO-Sicherheitsrat.

USA: Hamas sei eine terroristische Vereinigung

Die USA, die eines der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates sind, bestehen darauf, dass in jeder Stellungnahme oder Resolution des Gremiums festgehalten werden soll, dass die Hamas eine terroristische Vereinigung sei, die im Gaza-Streifen die Macht von der legitimen Palästinenserbehörde an sich gerissen habe. Die Weigerung der USA, Israel und die Hamas als gleichwertige Konfliktpartner anzuerkennen, ließ das gemeinsame Vorgehen im Sicherheitsrates scheitern. Eine gemeinsame Aufforderung zur Waffenruhe kam nicht zustande.

Unterdessen wurde am Sonntagmorgen im Gaza-Streifen weiter heftig gekämpft. In Fernsehberichten waren lodernde Brände und Rauchwolken zu sehen. Korrespondenten sprachen von schweren Explosionen und Maschinengewehrfeuer. Die Luftangriffe seien in der Nacht ebenfalls fortgesetzt worden.

Beschuss Israels geht auch während Bodenoffensive weiter

Selbst seit Beginn der Bodenoffensive sei der Beschuss Süd-Israels mit selbst gebauten palästinensischen Raketen (Kassam) weitergegangen, sagte der israelische Regierungssprecher Mark Regev dem US-Nachrichtensender CNN am frühen Sonntagmorgen. Der israelische Onlinedienst "ynet" sprach von sechs Raketen, die, ohne Schaden anzurichten, eingeschlagen seien. Regev betonte erneut, Ziel der Operation sei es, die Israelis im Grenzgebiet von Raketenangriffen zu schützen.

Israelische Soldaten waren unterstützt von Panzern und Kampfhubschraubern am Samstagabend in den Norden und Osten des Palästinensergebiets vorgerückt. Gaza wurde auch von See her beschossen.

Hamas-Kritik wegen ausgebliebener UNO-Erklärung

Die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas hat das Nichtzustandekommen einer Erklärung des UNO-Sicherheitsrats zum einem Waffenstillstand im Gaza-Streifen kritisiert. Das Geschehen im UNO-Sicherheitsrat sei eine "Farce" und beweise, dass die USA und Israel die Entscheidungsfindung in dem Gremium beherrschten, erklärte Hamas-Sprecher Fawzi Barhoum am Sonntag. Der Weltsicherheitsrat habe damit Israel die Möglichkeit gegeben, "sein Massaker" im Gaza-Streifen fortzusetzen.

Faymann will Waffenstillstand

Bundeskanzler Werner Faymann fordert erneut eine sofortige Einstellung der Kämpfe im Nahen Osten und ruft zu einem nachhaltigen Waffenstillstand auf. Der Bundeskanzler appellierte am Sonntag außerdem "eindringlich" an Israel, einen gesicherten Korridor für die Evakuierung österreichischer Doppelbürger zu öffnen.

Tschechischer Außenminister Schwarzenberg: Recht des Staates auf Selbstverteidigung

Die Bodenoffensive kam nach Ansicht der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft "nicht überraschend". Wie Außenminister Karel Schwarzenberg in Prag erklärte, erlaube selbst das unbestreitbare Recht eines Staates auf Selbstverteidigung aber keine Aktionen, die im großen Maße die Zivilbevölkerung betreffen. Er rief dazu auf, den Bewohnern des Gaza-Streifens humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen. Schwarzenberg appellierte an die Konfliktparteien, sich auf eine Feuerpause zu verständigen.

Drei Millionen Soforthilfe der EU

Die Summe soll für humanitäre Aufgaben im Gazastreifen (Gaza-Streifen) bereit gestellt werden. Nahrungsmittel, Medikamente und Baumaterial für Notunterkünfte sollen über die Vereinten Nationen bereitgestellt werden, wie der für Entwicklungspolitik zuständige EU-Kommissar Louis Michel am Sonntag in Brüssel mitteilte.

Die Lage der 1,5 Millionen Palästinenser im Gazastreifen werden mit jedem Tag verzweifelter, sagte Michel. Er rief Israel dazu auf, den Transport der Hilfsgüter zuzulassen. Im vergangenen Jahr stellte die EU mehr als 73 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die palästinensischen Gebiete bereit. Davon flossen 56 Prozent in den Gazastreifen. (APA/dpa/Reuters)