Der kategorische Imperativ des fortgeschrittenen Wellness-Zeitalters: Fühl dich sauwohl!

Foto: Christian Fischer

Ich will glücklich sein.
Das habe ich mir auch für das neue Jahr vorgenommen. Fest vorgenommen. Eisern vorgenommen.

Wild entschlossen, wie immer zum Jahresende, ziehe ich mich zurück, um Bilanz zu ziehen: Was war? Was war gut? Was war schlecht? Was ist gelungen? Was ging in die Hose? Oder sonst wohin? Wo habe ich mich wann wie wem gegenüber gut verhalten oder danebenbenommen? Ich köre mein persönliches "Arschloch des Jahres" und küre meine "Prinzessin des Herzens" - Männer sind in diesen Gefilden eh höchstens von Bahnhofsadel.

Meistens bin ich der Meinung, ich sei in den vergangenen 364 Tagen zu wenig glücklich gewesen. Immer, eigentlich, bin ich dieser Meinung. Und recht eigentlich meine ich, dass das Glück frei Haus zugestellt gehöre wie der Brief morgens im Kasten, wie das Licht angehe auf Knopfdruck, und die Heizung tickere, wenn ich es hell und warm haben möchte. Basta. Warum lebe ich eigentlich?

Ja warum? Meine Eltern hatten die Unverfrorenheit, mich nicht vorher zu fragen. Es ging ihnen damals, scheint's, eben nur um die statistischen sieben Minuten Glück. Und hopp!

Leichten Sinnes

Dass ich ob dieses Übergriffs fürderhin Glück als Gratis-Leistung des Lebens ansehen würde, als die pure selbstverständliche Selbstverständlichkeit, selbstverständlich mitzuliefern, haben sie in ihrem Lustglück, in ihrer Glückslust oder in der vertraglich vereinbarten Erfüllung ehelicher Pflichten und staatstragender Aufgaben whatever, nicht bedacht. Sonst - sonst wäre es mit Sicherheit zum Interruptus gekommen, und mir wäre wenigstens Einiges erspart geblieben. Zum Beispiel: fest und eisern und sonstwienoch entschlossen zu sein, im neuen Jahr noch glücklicher werden zu wollen, wie ich es im alten eh nicht gewesen sein will.

Das neue Jahre betrete ich also schwebend, leichten Sinnes. Ich werde spielend meine 8 (in Worten: acht) Kilo Übergewicht loslassen, weil es mir ein Vergnügen sein wird, täglich nach 18 Uhr höchstens 1 Gemüsesüppchen zu löffeln. Wenn ich - nein, falls ich jemals wieder Kuchen kaufen sollte, bleiben die Kalorien beim Konditor, verlass dich drauf! Meine Vorsätze halte ich meist bis Ostern durch, und spätestens bei der Zwischenbilanz am 30. Juno jeden Jahres werden sie reanimiert. Aber mit dem Glück ist das so eine Sache.

Jedenfalls war das Jahr 2008 das Jahr der Scheiße, mein Jahr der Scheiße. Suggeriert wenigstens meine absolut verlässliche "Defizit-Focussierung" - wunderbarer Begriff aus der Glücksforschung für die grauenhafte Eigenschaft der Selbstentwertung. Ich war nahezu ausschließlich unglücklich, kränklich, mindestens unwohl, besser unpässlich. Beruflich ging mindestens 90 Prozent in die Hose oder sonst wohin. Alle Menschen haben mich so was von scheiße behandelt, Scheiße! Scheiße! Scheiße! Dass ich mir schon vorgenommen hatte, eventuell darüber nachzudenken zu wollen, ob ich nicht doch besser einen handfesten Strick erwerben sollte, falls ich das passende Fensterkreuz dazu fände und die größere Anzahl Freunde und Kollegen, die all das bedauern müssen würden, was sie mir nicht oder angetan, die darüber hinaus heftig zu bedauern hätten, dass die oben genannten Utensilien eindeutig und irreversibel zum Einsatz gebracht worden wären.

Selber schuld! Dass sie das Nachsehen haben würden, stimmte mich nahezu glücklich. Wobei ich wieder beim Thema angelangt wäre - nämlich bei der unverschämten Absenz dieses G-Zustandes im vergangenen Jahr.

Hatte ich nicht das ganze 2008 über wieder unzählige "How to be happy"-Guides studiert und exzerpiert? "Du blödes Sonntagskind!", schilt mich Freundin Hannah: "Was vertust Du Deine Lebenszeit mit diesen Scheiß-Ratgebern! Wer so lachen kann wie Du, braucht diesen Mist nicht!" In der Tat hatte sich Hannah schon vor Jahren eine ganze Walkman-Audio-Kassette von mir volllachen lassen, regelrecht volllachen lassen, komplette 30' Volllache, weil ihr meine Salven "Glück pur" usf. - vollgewiehert walkt sie fortan mit meinen 30' im Ohr die Wiener Prater-Allee rauf und runter.

Neoliberale Fortunafabrik

Mein Freund Claus, Wiener Raunzerkönig, tituliert mich völlig wohlwollend eine "neoliberale Fortunafabrik"; sein Freund Harald, Glückshasser Numero zwo, schimpft auf meine "Schweineglücksoptimierung", die ich mit den Lebenshilfsmitteln aus den Lebenshilfe-Verlagen zu betreiben suche, und der dritte fortunophobe Mann im Negaholikerbunde, "Doc" genannt, diagnostiziert "glückswidrige Megalomanie" bei mir. Im Übrigen höre ich von allen abgrundtiefen Labialfalten und Mundwinkeln, die am Hüftknochen angekommen sind: "Man kann's auch übertreiben mit dem Glücklichsein!"

Fritzi indes legte mir vor Jahren schon diskret und wie immer wortlos Watzlawicks Anleitung zum Unglücklichsein auf den Küchentisch. Und, nachdem mir vor 300 Tagen meine Liebste bei Reclams für 3 Euro 60 in Orange 81 zweisprachige Seiten Seneca erwarb, "De vita beata", das ist Latein und heißt zu Deutsch "Vom glücklichen Leben" und, nachem ich 40 und eine halbe Seite davon gelesen hatte, und nicht nur 1x, Deutsch natürlich, habe ich beim Zahnwehherrgott im Wiener Stephansdom gelobt: "Ich lese nie mehr nicht keinen einzigen Glücksratgeber in meinem ganzen Leben!"

Und was tue ich, meinen Vorsätzen immer nibelungentreu? Ich werde fortwährend unglücklicher mit der neusten Wiener Fortuna-Fibel Mein Glücks-Trainings-Buch. Was nur hat mir da der formida-ble Springer-Verlag unaufgefordert auf das Lesepult gelegt! Glück einzig, dass weder der Doc noch Harald noch Claus meinen Wortbruch mitbekommen - sonst würden sie zu dritt mit einer Stimme a cappella schadenfroh in die Runde rufen: "Hallo Dale! Wie geht's unsrem Freund Carnegie?"

"Glücks-Trainings-Buch". Hab ich das alles nicht irgendwo schon einmal gelesen? Wie vielen Klappentexten soll ich denn noch auf den Leim des Lebens gehen! Die Herstellung von Glück im Alltag sei "ein Leichtes", flötet der Verlag. Wo doch jeder Dödel erstens weiß: Glück ist kein Geschenk. Und zweitens: Glück ist Arbeit. Training. Übung. Selbstverantwortung. Und vor allem: Einstellungs-änderung. Das Sauschwerste im Leben! Wie jeder Dödel weiß.

Steht ja auch sehr richtig bei Frau Mag. Smolka, Geschäftsführerin der Firma "glückstraining", und mit Hilfe eines eigens belobigten Schreibcoach die Verfasserin jener vorliegenden Fibel mit dem abwaschbaren Umschlag. Vor mir liegt ein Verschnitt der marktgängigen Glückstexte, ohne einen einzigen genuin neuen oder wenigstens eigenen Gedanken. Im Literaturverzeichnis dieses Glücksmanagementbuches wieder nur andere Glücksmanagementbücher, lauter Para- und Afterliteratur, die nicht einmal die weltberüchtigten Carnegies listet, Watzlawick verschweigt, und Seneca?

Dafür wird das wunderbare Thema in einer unredigierten Sprech-Sprache - "Weil sehr oft bleibt das Glück dann auf der Strecke" der Seite 74 - abgehandelt, direkt vom Diktaphon in die Maschine von Holzhausen-Druck bugsiert inkl. Clichés, das nicht totzukriegende Geschwätz von "Reif für die Insel" , wo man womöglich auch noch die Seele baumeln lassen soll.

Platituden unvermittelt neben hochgestochenen, nicht übersetzten, gar erklärten Fachbegriffen des "Hedonistischen oder Eudämonischen". Orthographie-, Grammatik-, Druckfehler sollen mich ganz happy machen, und der eigens benamste plus magistrierte Lektor eines Verlages, der als Verlagsorte neben Wien auch Heidelberg und New York angibt, lässt jede Menge Austriazismen und Wien-Lingo durchgehen, als sollte ausschließlich die Donaumetropole mit dem "Landeplatz für das Glück" beglückt werden.

Ich hatte ja "den Willen zum Glück"! Hatte ich! Ich wollte, ich suchte, ich fieberte, geradezu glückssüchtig, gerade zum Jahreswexl!, das G-"Level", den G-"Faktor", das G-"Niveau", das G-"Potenzial", das G-"Moment", die G-"Erfahrung", wollte ich ja! Ja! Hätte ich sonst dieses Remake als Wiederholung+Vertiefung meiner Glücks-Exerzitien benutzt? Hätte ich sonst mit "Wertschätzung, Achtung und Aufmerksamkeit" im "Hier und Jetzt" sogar in dieses "Wohlfühlbuch" als "eingeladener Co-Autor" hineingeschrieben wie aufgefordert, mich dem zeitgeistlichen Interaktivismus hingegeben, um "meine Zufriedenheit zu füttern" , Vor-+Nachfreude zu kultivieren. Und bin doch wieder nur, wie bei 365 "How to" -Gebrauchsanweisungen zuvor, beim mythifizierten Wasserglas gelandet, das halb voll oder halb leer sein soll.

Den Rest - Pech auch! - hat mir die hier herumirrende Kinderbuch-Illustratorin gegeben. Sie lebt, laut Eigen-PR auf Seite 200, "mit Mann und zwei Salukis" (watt iss datt denn) in Wiens Innenstadt und "zeichnet sehr gerne" - darf man wohl von einer glücklichen Zeichnerin erwarten. Darf man. Aber.

Was hat eine Wäscheleine in einer so prekären Materie des Lebens überhaupt zu suchen? Ein Wäscheleine, die sich über alle 100 Blätter hinweg, also 30 Meter lang, von Buchdeckel zu Buchdeckel spannt? An ihr baumeln 291 blaue Wolkenhimmel, 51 Sonnen, 17 Monde, Sterne sonder Zahl, Deckenlampen, Weintrauben, Luster, Würste, Knochen und - uiiih!pikant! - auch 4 Slips und 2 BHs. Machen die das Buch zum "Wohlfühlbuch" für Männer? Passend dazu: 41 Schmetterlinge flattern durch den Blocksatz mit Herzerln, Herzerln, Herzerln und Vögeln, 29x, 7x Eulen plus 26 Luftballons. Ganze Tierhandlungen, Zoos und Bauernhöfe werden verglückt, Obsttheken, Sportarenen zugeglückt, der Leser wird langsam aber sicher schneller nervös ob der 128 blühenden Tulpen, zwischen denen 32 Katzen, 12 Hunde, Autos, Fahr- und Riesenräder, Flugzeugabsturz plus 71 Strichmännchen- und Weibchen herumtun.

Das Glück? Eine hektisch agitierte Kinderfibel! Wer soll da ob der graphisch zugemüllten Gemütsaufhellung nicht glücksrenitent werden? Wer soll da schon auf Seite 43 noch meditieren wollen? Wo doch "die Ruhe, die Stille, eine ganz wesentliche Kraft- und Glücksquelle darstellt!" Tröstlich unter so viel Plattfisch-Wörtern nur die 17 Klees, 4-blättrig themagemäß, die 5 Pilze, Sorte "Glück" natürlich, und besonders süß die beiden Schweinderln. Marzipan? Kleeblatt in Mauli? Wie soll ich, unbelehrbarer Glückstaucher und Bücherflüsterer, ob solcher Publikationen im neuen Jahr glück- und zwar restlos -lich werden?

Für all diese Happiness-Consulter wird wertende Lektüre eh Nörgelei nur sein und der Kritikaster glücksresistent. Und überhaupt! Ich möchte doch liebend gerne usw. sein, selig, 7. Himmel, Dusel, Massel, Amulett, Marienkäfer, Segen, Hans, Totto, Lotto, Heil & Hauptgewinn. Wohl, Strähne. Gerne mehr G. als Verstand. Nie mürrisch, ach Gott, ärgerlich meine Fresse!, Pechvogel, unbesorgt, aufatmen, was noch alles! Wunschlos!

Die Vorsatzliste 2009 ist voll, proppenvoll. Watzlawick wird mir bei der Realisierung sicher helfen, sicher Seneca, 3x Seneca, pro Seneca 3 Euro 60. Und: Meine gutste Tante Jolesch, die geliebte. Welchen Senf nur würde sie jetzt zu meinem Pech geben? "Gott soll uns behüten!" , höre ich sie kommentieren, "Gott soll uns behüten vor allem, was 'noch ein Glück' ist!" (Peter Roos/DER STANDARD/Album, Printausgabe, 3./4.1.2009)