Wann hat man in letzter Zeit etwas so Selbstzerfleischendes, etwas so Verzweifeltes, etwas derart an Liebe und Sehnsucht schier Zerbrechendes gelesen? Etwas so wortreich Mitreißendes, so empfindsam Gefühltes! Dabei ist dieser Briefroman, in dem eine Frau an Eifersucht fast umkommt, mehr als 180 Jahre alt. 1824 erschienen die Vingt-quatres heures d'une femme sensible ou Une grande leçon und wurden nun neu übersetzt. Die Autorin dieses Romans, Constance de Salm (1767-1845) war zu Lebzeiten eine bekannte, renommierte Autorin. 1799 heiratete sie Joseph Graf von Salm-Reifferscheidt-Dyck und pendelte zwischen Paris und Neuss im Rheinland.

Die 24 Stunden muten dramaturgisch schlicht an - innerhalb eines Tages schreibt eine Frau ihrem Geliebten 46 Briefe. In diesen bricht sich ihre Eifersucht Bahn, überschreitet die Grenze zu den tiefsten Tiefen der Verzweiflung und wird dann wieder ganz euphorisch, ja toll vor Glück und Verliebtheit. Und kann doch des geliebten Mannes rätselhaften nächtlichen Aufbruch in Begleitung einer anderen Frau zu einem unbekannten Ziel nicht verstehen. Am Ende löst sich alles auf - und erweist sich als "Lektion". In seinem Nachwort zitiert Karl-Heinz Ott einen Satz des französischen Philosophen Roland Barthes: "Man scheitert immer daran, von dem zu reden, was man liebt." Im Falle der durchsichtigen Prosa de Salms ist dies anders. Eine beeindruckende Wiederentdeckung. (Alexander Kluy, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.01.2009)