Deutschlands erste Geige: Julia Fischer.

Foto: Julia Wesely

Wien - Die Violinistin Julia Fischer will sich nicht hetzen lassen. Zwar wusste die 1983 geborene Tochter einer Pianistin und eines Mathematikers schon mit drei, dass sie Musikerin werden wollte - doch das Tempo bestimmte sie selbst. Trotz früher Erfolge - mit elf gewann sie den renommierten Yehudi-Menuhin-Wettbewerb - wurde aus der Münchnerin kein vermarktetes Wunderkind. Ihre erste CD nahm sie mit 20 auf - im Vergleich zu manchen ihrer Kollegen relativ spät, wie sie meint.

Heute schätzt Fischer CD-Einspielungen als Chance zur Selbstkritik: "Wenn ich gezwungen bin, eine Interpretation fünf Mal in Frage zu stellen, lerne ich wahnsinnig viel". Nach fünf Jahren beim Klein-Label Pentatone bedeutet der Exklusivvertrag mit der Universal-Tochter Decca für die 25-Jährige nun eine weitere Etappe ihres Aufstieges. In künstlerischer Hinsicht stellt die Einspielung von Bachs Violinkonzerten, die im Jänner als Fischers CD-Debüt bei der Decca erscheint, jedoch die Fortsetzung einer erfolgreichen Zusammenarbeit dar: Mit der Academy of St. Martin in the Fields hat die Geigerin bereits 2002 Vivaldis Vier Jahreszeiten als DVD herausgebracht.

In beiden Fällen ließ sich Fischer von ihrem freundschaftlichen Verhältnis zu dem britischen Orchester ermutigen, selbst die musikalische Leitung zu übernehmen: "Prinzipiell bin ich bei Bach-Konzerten nie begeistert, wenn ein Dirigent dabei steht", meint sie, dieser sei als externe Kraft bei Bachs Musik fehl am Platz: "Bei einem Brahms-Violinkonzert braucht es jemanden, der die Charaktere im Orchester zu einer Stimme vereint. Orchester und Solist stehen einander dort als zwei Stimmen gegenüber - bei Bach bin ich selbst Teil des Orchesters." Doch nicht nur hierin weicht Fischer von Aufführungsgewohnheiten ab. Auch ihre Entscheidung, Darmsaiten zu verwenden, lässt auf eine Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis schließen.

Fischer legt Wert auf ihre Eigenverantwortung als Interpretin - ein Parameter, der ihrer Meinung nach bei Werken der Neuen Musik mitunter zu kurz kommt: "Dadurch, dass unter jeder Note einer modernen Partitur 30 Anweisungen stehen, wie ich sie zu spielen habe, braucht man mich nicht mehr - das kann ein Computer genauso ausführen." Eigenständigkeit der Interpretation ist es auch, was sie an einem Musiker wie Glenn Gould fasziniert: "Gould kam es auf Werktreue an. Die eigene Überzeugung war ihm wichtiger als irgendein dynamisches Zeichen."

"Es gibt Komponisten, die sehr gut darin waren, schriftlich festzuhalten, was sie wollten - andere waren ungenau. Zum Beispiel Schubert!" Fischer begreift es daher als Teil ihrer Verantwortung, sich musizierend über den Notentext hinwegzusetzen: "Wenn ich nur spiele, was da steht, muss ich selbst nicht denken." Und das Denken will sich Julia Fischer jedenfalls nicht nehmen lassen. (Lena Drazic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.1.2009)