Im Winter ihres Lebens, aber mit voller Hingabe bei der Sache: Der Rentnerchor Young@Heart in Stephen Walkers gleichnamigem Dokumentarfilm hat noch lange nicht vor abzutreten.

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Wien - "Time ain't nothing when you're young at heart", sang in den 80er-Jahren die US-Westküsten-Band Green On Red. Zur selben Zeit formierte sich in Northhampton an der Ostküste der lebende Beweis dieser von Green On Red nur vermuteten Wahrheit: der Senioren-Chor Young@Heart.

Zuerst war daran nichts ungewöhnlich. Man sang Stücke aus Musicals, Standards und alte Varieténummern - bis eines Tages ein Chormitglied aufstand und einen Song von Manfred Mann's Earth Band schmetterte. Ein Schlüsselmoment für den Chorleiter Bob Cilman, der das Programm seit damals drastisch änderte. Statt nostalgischen Liedern studierte er mit seinen rüstigen bis gebrechlichen Schützlingen nun Rock-, Soul- und Punk-Songs ein. Oma und Opa sangen Stücke von den Ramones, The Clash oder den Talking Heads. Wobei Neuinterpretationen von Stücken wie Should I Stay Or Should I Go natürlich aus dem Munde der Chormitglieder eine neue Aussage erhalten.

Young@Heart wuchs sich rasch zu einer Erfolgsstory aus. Die Nachfrage nach den Oldies stieg, bald folgten nationale und internationale Tourneen: "We toured from continent to continent - until I became incontinent", wie Ex-Mitglied Fred Knittle es in dem vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm Young@Heart augenzwinkernd auf den Punkt bringt. Der britische Filmemacher Stephen Walker begleitete den Chor im Jahr 2006 und nahm ihn während der Vorbereitungen für das Konzertprogramm "Alive and Well" auf. Ohne falschen Genierer verfolgt Walker die Oldtimer bis hinein in ihre Schlafzimmer. Dort erzählen sie von sich, von ihrer Liebe zum Chor und der Freude, die er ihnen im Winter ihres Lebens noch verleiht.

Song-Freude nicht ungeteilt

Wobei diese Freude den von Cilman ausgesuchten Stücken nur bedingt entgegenschlägt. Als dieser Chordiktator mit großem Herzen nach den ersten Versuchen an dem Stück Schizophrenia von Sonic Youth gefragt wird, ob sie das Lied je mögen werden, meint dieser illusionslos: "No." Was den Chor natürlich nicht davon abhält, sich auch dieses Stück mit voller Hingabe anzueignen. Ähnliches gilt für einen Song von James Brown, bei dem zwei Senioren Soli singen sollen. Der Lustschrei vor "I feel good" geht zwar noch ganz gut, das Tempo des Godfathers of Soul wächst sich jedoch dann zum Problem aus.

Neben der Musik spielen Lebensfreude, aber auch Krankheit und Tod tragende Nebenrollen. Wie viele Chormitglieder Cilman seit Bestehen der Truppe schon verloren hat, bleibt dezent unerwähnt. Alleine nach den wenigen Wochen Dreharbeiten sind es am Ende zwei weniger. Der Chor trauert, macht aber weiter. Man hat schließlich selber nicht mehr allzu viel Zeit. Keine Stunde nach einer Todesnachricht steht man deshalb schon wieder vor Publikum. Ein bisserl schief, oft schon am Stock. Dieses Mal im Gefängnis, vor jeder Menge fieser Fressen mit dicken Oberarmen voller schlechter Tattoos. Schwerverbrecher und Tattergreise auf Tuchfühlung. Die Knackis haben nicht die geringste Chance.

Denn spätestens als Young@ Heart Bob Dylans Forever Young anstimmt, beben auch hier die Kinnladen, öffnet es den Härtesten die Schleusen: "Ich werde sie für immer in meinem Herzen tragen", gesteht ein Insasse, ein anderer spricht vom schönsten Konzert, das er je erlebt hat.

Rührstück ohne Kitsch

Young@Heart mag von seiner Machart her eine konventionelle Dokumentation sein. Wer angesichts dieses Sujets jedoch darüber nachdenkt, hat nichts kapiert. Nichts vom Leben, nichts von der Liebe. Young@Heart ist ein Rührstück ohne Kitsch. Es nimmt die Vergänglichkeit mit großer Selbstverständlichkeit hin, ohne sich von ihr einschüchtern zu lassen. Der Tod ist nicht das Ende. Der Chor lebt weiter, er singt weiter.

Etwa wenn Fred Knittle noch einmal wiederkehrt, um sitzend und ans Sauerstoffgerät angeschlossen die Ballade Fix You von Coldplay zu singen. Alleine. Sein Duettpartner ist wenige Tage zuvor gestorben. Taschentücher nicht vergessen! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.1.2009)