Rostock - MuslimInnen erleben ihre Jugend in Deutschland nur wenig anders als ihre nichtmuslimischen Altersgenossen, ergab eine soeben abgeschlossene Studie der Universität Rostock. In den Bereichen Bildung, Berufsziele oder Freizeitgestaltung konnten kaum Unterschiede festgestellt werden. Im Gegensatz dazu bestehen jedoch in der Auffassung von Partnerschaft, Familie, Sex und Religion Unterschiede.

Entsprechen gängigen Stereotypen nicht

Dazu wurden 100 MuslimInnen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren befragt. Die meisten von ihnen gehörten der zweiten Generation von EinwandererInnen aus der Türkei und anderen muslimischen Ländern des Nahen Ostens an, sind also bereits in Deutschland geboren und aufgewachsen. Hans-Jürgen von Wensierski, Studienleiter und Dekan der philosophische Fakultät Rostock, zeigt sich über die Vielschichtigkeit der Lebensentwürfe überrascht. "Junge Muslime zeigen einen sehr pluralistischen Lebensstil. Ihre Orientierungsmuster wiederlaufen oft den gängigen Stereotypen", so von Wensierski.

Selbstbewusste, individualisierte Frau

Das große Spektrum an Lebensentwürfen veranschaulicht von Wensierski am Thema Kopftuch. Eine befragte junge Frau sei von den Eltern mit 13 Jahren in die Türkei geschickt worden, um dort ein Internat zu besuchen und die traditionelle Geschlechterrolle zu erlernen. "Fünf Jahre später kam sie als sehr selbstbewusste, individualisierte Frau zurück, die ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte. In der türkischen Schule hatte sie entgegen der dortigen Regelung das Tragen des Kopftuchs verteidigt und zeigt heute eine sehr reflektierte religiöse Lebensführung", so der Studienleiter.

Kein orthodoxes islamisches Frauenbild abzuleiten

Ein weiteres Beispiel liefere die Tochter einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie. "Auch wenn sie sich nach dem 11. September 2001 wieder stärker dem Islam zugewandt hat, gab sie ihre Beschäftigung als Rapperin einer HipHop-Band nicht auf. Heute rappt sie mit Kopftuch." Das Tragen des Kopftuchs alleine erlaube daher noch keinen Rückschluss auf ein orthodoxes islamisches Frauenbild, betont von Wensierski.

Enthaltsamkeit wichtig

Familie, Sex und Partnerschaft sowie Religion sind laut Studie die Bereiche, in denen sich jugendliche MuslimInnen am ehesten von anderen unterscheiden. "Nicht-muslimische Jugendliche verselbstständigen sich sehr früh von ihrer Familie. Bei Muslimen sind die Eltern jedoch bis zur eigenen Familiengründung prägende Instanz und werden von den Kindern auch aufgesucht", so von Wensierski. Große Bedeutung habe für junge MuslimInnen die Enthaltsamkeit vor der Ehe, das im nichtmuslimischen Bereich weit verbreitete Leben in Partnerschaft sei kaum üblich.

Werthaltungen des Islam bei Sexualität

Die Aufklärung erfolgt bei MuslimInnen nicht zuhause, doch hätten sie laut der Studie kaum Probleme, mit FreundInnen oder in der Schule über Sex zu sprechen. Im Bereich der Religion sei ein weites Spektrum von säkularen bis hin zu sehr frommen Lebensformen zu beobachten. "Doch auch Jugendliche, die keine entwickelte persönliche Religiosität aufweisen, orientieren sich in den Werthaltungen am Islam", so der Erziehungswissenschaftler.

Schule kann problematisch werden

Die Gestaltung von Alltag und Freizeit unterscheidet sich für MuslimInnen und NichtmuslimInnen während der Jugendzeit kaum. "Auch Muslime gruppieren sich in peer-groups und sind von der Mediatisierung betroffen."

Konflikte im Kontakt mit Andersgläubigen entstehen laut von Wensierski am ehesten im Schulbereich. "Wenn LehrerInnen den Islam thematisieren, müssen sich MuslimInnen oft rechtfertigen und fühlen sich dadurch stigmatisiert." Benachteiligungen gibt es auch in Form schlechter Bildungsempfehlungen für weiterführende Schulen, schloss der Studienleiter. (pte)