Buddha statt Bourgeoisie: Das Zentrum "Der mittlere Weg" in der Biberstraße 9

Foto: derStandard.at/mas

Kommt "zum Chillen" in den Unterricht: Zaya

Unterricht ohne Prüfungsstress: Lehrer Heinz Pusitz

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Offiziell beginnt die Stunde um 16 Uhr. Nun ist es Viertel nach vier, von Unterricht ist nichts zu merken: Eine sitzt im Schneidersitz und liest eine Klatschspaltenmagazin, ein anderer verschickt ein SMS. "Meistens kommen ein paar Schüler erst später", erklärt Heinz Pusitz, Lehrer für buddhistische Religion in Wien. "Das hat sich so eingebürgert." Ob er keine Strafen verteile? Erstaunter Blick: "Natürlich nicht."

Kein Stress

Es sei ihm wichtig, dass die Schüler gern in den Unterricht kommen. Freitagnachmittag haben Teenies ohnehin Besseres zu tun als in die Religionsstunde zu gehen. Da hilft auch nichts, dass sie hier völlig prüfungsstressfrei am Boden herumknotzen können. Von 25 angemeldeten SchülerInnen kommen im Schnitt acht bis zehn tatsächlich in die Stunde im Gemeindezentrum "Der mittlere Weg" im ersten Bezirk. "Der Rest ist von meiner Seite her natürlich entschuldigt", so Pusitz, "weil es Gründe gibt, die die Teilnahme verhindern."

Pusitz ist der einzige buddhistische Religionslehrer für die öffentliche Oberstufe in Wien. Die Gesamtschule hat auch im Buddhismus noch nicht Fuß gefasst: Für die Unterstufe gibt es zwei LehrerInnen, jeweils eineR für Hauptschule und AHS-Unterstufe. Volksschulkinder haben zwei Klassen zur Auswahl.  Ein mageres Angebot, angesichts der Tatsache, dass in Wien 602 SchülerInnen mit buddhistischem Glaubensbekenntnis gemeldet sind. Dass zu wenige vom Angebot wissen, daran liege es nicht, versichert Pusitz: Die buddhistische Gemeinschaft (ÖBR) stehe "in regem Austausch mit den Communities".

Bunter Mix

Dass Pusitz hier den Plural verwendet, hat gute Gründe: Wiens buddhistische Szene ist extrem bunt gemischt. Das merkt man auch der Oberstufenklasse an: Die Eltern der Kids kommen aus Tibet, Sri Lanka, Vietnam, China, Japan, der Mongolei, Burjatien und Österreich, und die meisten sind binationale Paare. Aber nicht alle in der Klasse sind BuddhistInnen: "Ich komme für die Note", sagt Christian. "Meine Schule ist katholisch und will dass ich irgendeinen Religionsunterricht besuche." Im römisch-katholischen sei er vorher gewesen, "aber das war mir alles zu absurd und voller Widersprüche." Die Buddhismus-Stunde hingegen sei "entspannend. Und man muss wenig lernen." Nachvollziehbare Motive zumindest für einen, der nächstes Semester Matura hat.

Denn was bringt SchülerInnen im besten Rebellionsalter dazu, sich freitagnachmittags vor Statuen zu verneigen, zehn Minuten lang mausestill dazusitzen und sich mit jahrhundertealten Mythen abzugeben, wenn zuhause die Spielkonsole wartet?

"Komme zum Chillen"

Zaya kam anfangs "wegen der Note", mittlerweile aber "zum Chillen". Esther war vorher im christlichen Religionsunterricht, "aber der war nicht so spannend." Die buddhistische Lehre "interessiert mich mehr". Mittlerweile so sehr, dass sie sich Bücher mit dem Titel "Wie Siddharta zum Buddha wurde" ausborgt. "Das werde ich in den Weihnachtsferien lesen."

"Ich mag die Meditationen", sagt Aleksandra. Die 16-Jährige lässt kaum eine Stunde aus, obwohl sie von Floridsdorf in die Wiesingergasse im ersten Bezirk fahren muss. Ihre Mutter ist buddhistische Priesterin aus Burjatien, einer russischen Teilrepublik in Sibirien. Von ihr hat sie eine Form der buddhistischen Praxis gelernt, die der tibetischen ähnelt, sich von anderen Richtungen aber zum Teil stark unterscheidet.

Andere Traditionen

Dass sich in seiner Klasse SchülerInnen mit den unterschiedlichsten buddhistischen Färbungen versammeln, hat Einfluss auf den Unterricht. "Es geht darum, dass Gemeinsame herauszuarbeiten." Den Religionszwist im Kleinen ortet Pusitz nicht: "Die Schüler wissen ja, dass es andere Traditionen abseits der eigenen gibt. Im Unterricht geht es darum, sie kennen zu lernen."

Tibet war heißes Eisen

Während der Olympischen Spiele in China, als die Tibetkrise am Höhepunkt war, brachte das auch im Religionsunterricht die Stimmung zum Köcheln. Da waren sich die chinesisch- und die tibetischstämmigen SchülerInnen laut Pusitz durchaus einig: Die Entrüstung über Menschenrechtsverletzungen war groß, umso mehr, als sie von BuddhistInnen verübt wurde. "Und die tibetischen Schüler stammen alle aus Familien, die direkt in den Befreiungskampf involviert waren."

Diskutiert wird regelmäßig, geschwiegen auch. Besonders intensiv dann, wenn der Rest der Stadt besinnlich sein will, aber besinnungslos Einkaufen geht: zu Weihnachten. Dann schreite man zur "Stadtmeditation", erklärt Pusitz, was so viel heiße, wie "als Gruppe schweigend und mit verlangsamtem Schritt druch die Innenstadt zu gehen", um auf die eigene Wahrnehmung zu achten. Am Ende tauschten sie aus, was ihnen aufgefallen ist. "Das ist sehr beliebt." Unter anderem deshalb, "weil man ja auch als Buddhist dem Weihnachtswahnsinn nicht entkommt."

Räucherstäbchen-Klischee

Hartnäckige, nervende Buddhismus-Klischees bekam auch die Klasse schon zu spüren. Beim Besuch eines ORF-Kamerateams seien sie aufgefordert worden, Tee zu trinken und Räucherstäbchen anzuzünden, erzählt Pusitz. "Dabei heißt Buddhist-Sein ja nicht, dass man einen asiatischen Lebensstil übernimmt."

Und alle, die im Buddhismus eine neue Mode sehen, die traditionelle Werte verdrängt, weiß der Lehrer zu besänftigen: "Es geht keine Gefahr von uns aus, dass wir alle Cafés in Teehäuser umwandeln." (Maria Sterkl, derStandard.at, 8. Jänner 2009)