Die Macht des Faktischen hat die SPÖ in eine Koalition gezwungen, in der nicht nur die wirtschaftspolitischen Vorhaben im Zeichen des Kompromisses stehen. Klassische sozialdemokratische Ziele kommen im Regierungsprogramm jedenfalls zu kurz.

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Alfred Gusenbauer habe eine Vision gehabt und sei auf hohem Niveau gescheitert, hieß es kürzlich in einem Kommentar von Michael Völker (Standard). Etliche sogenannte "Suderanten" in der Sozialdemokratie hatten in den letzten Jahren von einer solchen Vision wenig bemerkt. Viel eher hat Alfred Gusenbauer eine neue Dimension des "management of expectations" zu verantworten. Er hat die Ansprüche der SP-Anhängerschaft vom Mount Everest in den Mariannengraben befördert, die Erwartungshaltung in der SPÖ ist seit seiner Performance so gering, dass eine Enttäuschung faktisch unmöglich wurde. Davon profitiert Werner Faymann, der mit ähnlicher Ressortverteilung und halbwarmem Regierungsprogramm ohne wütende Proteste Kanzler wird. Aber Faymann ist für die unglückliche Situation der SPÖ auch nur zu einem geringen Grad selbst verantwortlich.

Die Regierung Gusenbauer hat ein Desaster verursacht, an dessen Ende 2008 Neuwahlen standen, die zu einer massiven Einschränkung der Handlungsoptionen gegenüber dem Jahre 2006 führten. Damals wäre eine Minderheitsregierung im Bereich des Möglichen gewesen, weil man der Bevölkerung eine Neuwahl nach eineinhalb oder zwei Jahren hätte zumuten können. Wer 2008 die Neuwahl von der Neuwahl riskiert, wird den heiligen Zorn an den Urnen zu spüren bekommen. Damals hatten die Rechtsparteien 14 Prozent der Stimmen und waren ein überschaubarer Faktor, heute sind sie doppelt so groß und gemeinsam fast die stärkste Kraft.

Weiters war die SPÖ 2006 eine von zwei Großparteien, während sie 2008 zu einer von drei Mittelparteien schrumpfte. Nicht zuletzt wird die Wirtschaftskrise in den kommenden Monaten vor allem die klassische SP-Klientel treffen. Es wäre unverantwortlich gewesen, diese Menschen im Stich zu lassen und einer nationalkonservativen Nulldefizitregierung auszusetzen. Eine wirklich rechte Politik während der Krise könnte wirtschaftspolitisch katastrophale Folgen in puncto Arbeitslosigkeit und soziale Sicherheit bedeuten, von den gesellschaftspolitischen Auswirkungen auf Migranten/-innen und Asylanten/-innen einmal ganz abgesehen. Die normative Kraft des Faktischen zwingt die SPÖ in eine Regierung und macht Faymann zum Kanzler ohne Zores.

Der SPÖ-Vorsitzende hat bei der Pensionsautomatik, bei den Studiengebühren und bei der Post auch gezeigt, dass man sich auf ihn verlassen kann, wenn er eine Position bezieht. Er hat aber auch aus den Fehlern Gusenbauers gelernt, dass das Beziehen von Positionen gefährlich sein kann. Sein Stil und sein Auftreten sind zweifellos vorsichtiger und geschickter als bei seinem Vorgänger, inhaltliche Kritik wird sich aber auch Werner Faymann gefallen lassen müssen.

Schwacher Kompromiss

Das Bankenbeschenkungspaket hatte etwa mit dem Koalitionsverhandlungsfrieden unmittelbar nichts zu tun. Eine Mitbestimmung der öffentlichen Hand ist bei den Rettungsmaßnahmen in Deutschland und Großbritannien selbstverständlich gewährleistet. Viele Menschen hätten sich von Faymann ein stärkeres Auftreten gegenüber den Banken erwartet.

Manche Ökonomen in der SPÖ freuen sich, dass die Regierung das zweitgrößte Wirtschaftspaket in der EU geschnürt habe, mit gewaltigen zwei Prozent der Wirtschaftsleistung steuert die Regierung der Krise entgegen. Quantitativ mögen die Maßnahmen beachtlich sein, qualitativ betrachtet, ist das Herzstück des Pakets - die Steuerreform - ein schwacher Kompromiss. Vom Spitzensteuersatz waren bis jetzt nur vier Prozent der Lohnsteuerpflichtigen betroffen, die Anhebung der Grenze auf 60.000 nützt nicht dem Mittelstand, sondern einer Minderheit von Besserverdienenden. Auch die Familienleistungen helfen eher einkommensstarken Gruppen. Die absolut faire und sinnvolle Vermögenszuwachssteuer wurde überhaupt gleich aufgegeben.

Der britische Premier Gordon Brown geht dieser Tage ganz andere Wege als die Regierung Faymann. Im aktuellen britischen Budgetvoranschlag ist eine Ausweitung der Transfers auf Pump zur Stützung der Massenkaufkraft angedacht. Die Gegenfinanzierung ab 2011 wird durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 40 auf 45 Prozent sowie einen Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge für alle Einkommen über 20.000 Pfund (25.000 Euro) gewährleistet. Es ist zwar wichtig und richtig, dass die Steuerreform vorgezogen wurde, aber im Prinzip handelt es sich dabei um keine sozialdemokratische Errungenschaft, sondern um eine Selbstverständlichkeit des ökonomischen Hausverstandes.

Wenig gestalterischer Mut

Nur "Fundamentalisten" wie der ehemalige Nationalbankgouverneur Klaus Liebscher glauben immer noch, dass Sparen in schlechten Zeiten eine bürgerliche Tugend ist. Vernunftbegabte wirtschaftspolitische Akteure wissen, dass ein Sparen in der Krise mehr kostet als eine Verschuldung in der Krise. Das Regierungsprogramm lässt vermuten, dass die kommenden Jahre eher eine Periode der Verwaltung denn eine der Gestaltung werden dürften. Klassische sozialdemokratische Ziele wie eine gerechtere Einkommensverteilung, Aufstiegsmöglichkeiten für Kinder aus nichtakademischen Haushalten oder das aktive Vorgehen gegen jegliche Diskriminierung wird diese Regierung leider kaum umsetzen können. Das dürfte viele Sozialdemokraten nicht davon abhalten, diese Ziele auch zukünftig vehement einzufordern. (Nikolaus Kowall/DER STANDARD Printausgabe, 2. Dezember 2008)