Zur Person: Michael Spindelegger (49) war außenpolitischer Sprecher der ÖVP und seit Herbst 2006 Zweiter Nationalratspräsident. Von 1995 bis 1996 saß er als Abgeordneter im EU-Parlament.

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STANDARD: Schon nervös wegen des neuen Amtes - oder eher unbeeindruckt?

Spindelegger: Natürlich bin ich nicht unbeeindruckt. Mit jedem Tag wird mir mehr bewusst, was das für eine Herausforderung ist.

STANDARD:  Ihre Vorgängerin Ursula Plassnik lieferte sich einen offenen Krieg mit der "Kronen Zeitung" über den EU-Kurs des Landes. Bereit, es auch so weit kommen zu lassen?

Spindelegger: Dieses Gefahrenmoment bringt die Aufgabe mit sich. Ich weiß, dass ich in diesem Amt nicht der Darling aller Medien sein kann. Ich nehme das in Kauf.

STANDARD: Die ÖVP präsentiert sich als die Europa-Partei. Doch für einen Türkei-Beitritt verspricht auch der neue Koalitionspakt: Darüber "haben" die Österreicher "in einer Volksabstimmung das letzte Wort" . Klingt inkonsequent, oder?

Spindelegger: Das ist eben ein Kompromiss mit der SPÖ. Für mich ist er tragfähig, weil wir auch festgehalten haben, dass es gegen den Partner keine Volksabstimmung über EU-Belange geben kann.

STANDARD: Bei der Türkei aber eben schon. Bei Kroatien will die ÖVP kein Plebiszit. Da misst man doch mit zweierlei Maß?

Spindelegger: Die Türkei wäre aufgrund ihrer geografischen Schwellenlage einen Schritt über Europa hinaus, während der Balkan mit seinen westlichen Strukturen mitten im Kontinent liegt. Darum wäre es notwendig, dass eine starke Bewegung in Österreich Ja zu einer Mitgliedschaft der Türkei sagt.

STANDARD: Einst haben Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel wie Plassnik den Verhandlungen mit dem Ziel eines Vollbeitritts zugestimmt. Ist es da nicht unredlich, wenn man den Türken in 15 Jahren per Referendum eine lange Nase dreht?

Spindelegger: Ich halte es nicht für unredlich, weil wir der Türkei von Beginn an gesagt haben, dass wir das nicht als Aufnahmeprozess wie bei anderen Ländern sehen. Wir haben ja auch vorgeschlagen, dass wir den Weg einer speziellen Partnerschaft einschlagen können. Also war der Türkei bewusst, dass es langwierige Verhandlungen bis zum Beitritt sein werden.

STANDARD: Hand aufs Herz: Betreibt Ihre Partei in der Türkei-Frage nicht diesselbe populistische Politik wie die SPÖ, weil sich viele Österreicher vor noch mehr Migranten fürchten?

Spindelegger: Populismus ist nicht meine Sache. Allerdings sagt nicht nur die ÖVP, sondern ganz Österreich, dass man einen Türkei-Beitritt nicht unterschätzen darf. Und ich warne an dieser Stelle auch davor. Eine breite Zustimmung darf man nicht außer Acht lassen.

STANDARD: Damit überlässt man erst recht wieder Strache und Konsorten das Feld, was Plassnik beim EU-Kurs verhindern wollte. Wie wollen Sie den Ressentiments gegenüber Brüssel entgegentreten?

Spindelegger: Bitte um Verständnis, das ist eine große Frage. Ich möchte da Ursula Plassnik auch meine Wertschätzung für ihre klare Position ausdrücken. Sie ist eine Frau mit Rückgrat. Ich stelle mich da voll hinter sie. - Was die EU-Skepsis betrifft: Da genügt sicher keine neue Image-Kampagne, deswegen möchte ich mich in der ersten Phase genau damit beschäftigen, was die Gründe für die Bedenken in Teilen der Bevölkerung sind. Ich habe etwa das Gefühl, dass die Globalisierungsangst auf die EU übertragen wird, weil die Union den Markt stark betont und es Liberalisierungstendenzen gibt.

STANDARD: Kommt die Furcht vor der EU nicht auch daher, dass SPÖ und ÖVP alles tun, um Ängste zu nähren? An der Grenze zu Tschechien und Ungarn lässt man für ein weiteres Jahr das Bundesheer aufmarschieren - als ob es darum ginge, lauter Kriminelle abzuwehren.

Spindelegger: Ich möchte in der Nachbarschaftspolitik auf jeden Fall dafür sorgen, dass das Verhältnis auf einem hohen, freundschaftlichen Niveau bleibt. Aber der Assistenzeinsatz dient eben dazu, der Kriminalitätsentwicklung entgegenzuwirken.

STANDARD: Wofür - falls nötig - eigentlich die Polizei zuständig wäre.

Spindelegger:  Das mag sein. Aber ich sehe das als vorübergehende Maßnahme, die auslaufen wird.

STANDARD: Apropos: 2009 läuft das Mandat von Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) als EU-Kommissarin aus. Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer spitzt auf den Job. Aus Ihrer Sicht ein qualifizierter Kandidat?

Spindelegger: Qualifikation besteht nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus fachlichem Anforderungen. Deswegen kommt es auch auf das Ressort an, das Österreich bekommt. - Aber prinzipiell hat Gusenbauer mit seiner außenpolitischen Erfahrung sowie als ehemaliger Kanzler das Profil für einen EU-Kommissar.

STANDARD: Oder wird Plassnik die nächste EU-Kommissarin?

Spindelegger: Meines Wissens haben sich SPÖ und ÖVP auf die Besetzung des Postens noch nicht geeinigt. Aber natürlich ist Plassnik ebenfalls höchst geeignet. Sie war vier Jahre lang Außenministerin und hat ja auch Botschaftserfahrung. Das ergibt eine sehr gute Visitenkarte für einen Kommissar.

STANDARD: Das neue Regierungsprogramm ist vage, wo es um die Entwicklungszusammenarbeit geht.

Spindelegger: Wir sind in einer Wirtschaftskrise, in der wir einfach Finanzierungsvorbehalte haben. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass sich Österreich an seine Verpflichtungen halten wird. Ich habe jedenfalls einen guten Willen. Und für mich ist die EZA eine Priorität.

STANDARD: Stichwort: Kärntner Ortstafelstreit. Im Koalitionspakt steht: "Die Regelung zur Umsetzung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes" soll mit breiter Zustimmung "abgesichert werden" . Mit Verlaub, aber auf diesem Stand waren wir schon 2001.

Spindelegger: Dafür ist der Bundeskanzler zuständig. Er muss die Gespräche wieder aufnehmen. 2006 hatten wir bereits eine De-facto-Einigung, doch dafür ist eine Zweidrittelmehrheit leider nicht zustande gekommen ...

STANDARD:  ... weil sie eine willkürliche Lösung gewesen wäre. Diese hat sich nicht am Minderheiten-anteil in den Ortschaften orientiert.

Spindelegger: Das Problem ist seit 1955 offen, doch wie wollen Sie es lösen? Es geht nur mit vielen Anläufen und breiter Zustimmung. Nur mit einem Verfassungsgesetz alleine ist es da nicht getan. (Von Christoph Prantner und Nina Weißensteiner/DER STANDARD-Printausgabe, 29./30. November 2008)