Zur Person: Wilhelm Molterer (53) war seit 2007 VP-Chef und Vizekanzler, zuvor Umweltminister und Klubobmann. Der Oberösterreicher ist künftig einfacher Abgeordneter. Der abgelöste VP-Chef Wilhelm Molterer über die Gründe für sein Scheitern, den fehlenden Veränderungswillen in der Politik und die Haltungsfrage EU.

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STANDARD: Zeit, Bilanz zu ziehen. Was war Ihr größter Erfolg, was Ihr größter Misserfolg?

Molterer: Der größte Misserfolg ist relativ einfach (lacht): Das Wahlergebnis des 28. September. Das war eine bittere Niederlage, aus der ich sofort die Konsequenzen gezogen und Josef Pröll die Obmannschaft übergeben habe. Der größte Erfolg? Ich bin sehr glücklich, dass Maria Fekter mein Angebot angenommen hat, Innenministerin zu werden. Sie ist ein echter Glücksgriff für die ÖVP. In der Sache haben wir echte Akzente in der Europapolitik gesetzt. In der Sozial- und Gesellschaftspolitik wurden während meiner Obmannschaft Weichen gestellt, die sich noch als sehr wichtig erweisen werden.

STANDARD:  Sie wollen sich beruflich neu orientieren: Gibt es noch politische Funktionen, die Sie interessieren würden?

Molterer: Es gibt faszinierende Fragen in der Politik, die jenseits von Ämtern wichtig sind. Eine ist: Warum ist in Österreich bei allen politischen Parteien die Veränderungswilligkeit und -fähigkeit so wenig ausgeprägt? In anderen Ländern ist Veränderungswilligkeit Voraussetzung für politischen Erfolg. Bei uns ist es manchmal umgekehrt. Eine zweite Frage ist die soziale, marktwirtschaftliche Grundorientierung, die durch Populismus nicht ausgeschaltet werden kann. Und dann ist da die Europafrage: Die Krise an den Finanzmärkten hat mich bestärkt, dass wir ohne Europa nicht in der Lage sind, unsere Zukunft offensiv anzugehen. Das sind drei treibende Kräfte, warum ich auch in Zukunft am Politischen Interesse haben werde.

STANDARD: Stichwort Veränderungswille: Sind Sie damit auch innerparteilich gescheitert? Jeder redet nur darüber, wie danieder die ÖVP liegt.

Molterer: Sagen wir so: Das Ergebnis des 28. September hat sicher auch damit zu tun, dass ich innerhalb der ÖVP für diesen Weg nicht überall den notwendigen Rückhalt gehabt habe. Ich meine aber nicht nur die ÖVP. Wir kratzen oft nur an der Oberfläche von Strukturen.Nehmen wir die Gesundheitsreform und die Struktur der Sozialversicherungsträger. Niemand kann mir erklären, warum man so viele braucht. Dasselbe gilt für die Staatsreform. Die Radikalität des Denkens ist notwendig, damit man tiefer gehende strukturelle Reformen machen kann.

STANDARD: Wird also zu wenig über den Tellerrand hinausgeblickt?

Molterer: Wenn man tatsächlich in die Tiefe geht, wird man sehen, dass wir in der EU unsere Perspektive haben. Denken Sie an die Sicherheitspolitik. Das bedeutet aber auch, etwas bewusst an Brüssel zu delegieren. Im Gegenzug muss man sich dann aber inÖsterreich anschauen: Brauchen wir wirklich alle Strukturen?

STANDARD:  Sehen Sie den EU-Kompromiss der neuen Regierung als Schwächung Österreichs?

Molterer: Ich sehe es als enorme Verantwortung, die jetzt mit ziemlichem Gewicht fast ausschließlich auf den Schultern der ÖVP liegt.

STANDARD:  Mit ihrer Pro-EU-Haltung macht sich die ÖVP aber auch angreifbar.

Molterer: In grundsätzlichen Fragen muss aus fester Überzeugung heraus Position gehalten werden. Wenn es nur nach der Mehrheitsmeinung gegangen wäre, wären wir heute nicht neutral und nicht in der UNO. Wenn wir ab 1987 Europapolitik nach Meinungsumfragen gemacht hätten, wären wir noch immer nicht in der EU.

STANDARD: Muss man manchmal gegen die Mehrheit auftreten?

Molterer: Es reicht nicht, einfach nur dazusitzen. Man muss versuchen, für seine Positionen eine Mehrheit zu finden.

STANDARD:  Alfred Gusenbauer hat Sie zum Tarockieren eingeladen. Wie können Sie mit ihm privat?

Molterer: Ich habe - im Gegensatz zu manch kolportierten Geschichten - immer ein korrektes Verhältnis zu Alfred Gusenbauer gehabt. Wir haben beide nicht diese totale Emotion, die manch andere als Basis von Zusammenarbeit sehen.

STANDARD: Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein Zitat von Ihnen vom Wahlparteitag 2007 vorlesen: "Ich habe nicht vor, mich zu ändern." War das auch ein Grund für Ihr Scheitern?

Molterer: Offensichtlich war das einer der Gründe. Deshalb habe ich aber auch die Konsequenzen gezogen und gehöre der neuen Bundesregierung nicht mehr an. (Günther Oswald/DER STANDARD-Printausgabe, 29. November 2008)