Der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig peilt trotz "international herzeigbaren Niveaus" eine qualitative wie auch quantitative Offensive seines Ressorts an.

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Architektin Bettina Götz ist neue stellvertretende Vorsitzende des Wiener Grundstücksbeirat. Sie sieht auf den Wiener Wohnbau auch Herausforderungen zukommen.

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Dietmar Steiner ist neuer Vorsitzender des Grundstücksbeirats. Er setzt auf "gezielten Einsatz von architektonischer Intelligenz" - jetzt auch für den Wiener Wohnbau.

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Seit 1989 gibt es in Wien einen Grundstücksbeirat, der die Aufgabe hat, Wohnbauprojekte, "für die Förderungsmittel beansprucht werden, einer Qualitätsprüfung zu unterziehen". Ausgelotet werden planerische, ökonomische und ökologische Qualitäten.

Mit Dietmar Steiner (Architekturzentrum Wien) und der Architektin Bettina Götz hat dieses Schlüsselinstrument ab Beginn 2009 einen neuen Vorsitzenden und eine neue Stellvertreterin. Denn Wohnbaustadtrat Michael Ludwig peilt sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Offensive in seinem Ressort an. Wie soll sich also der Wohnbau, die unbestritten wichtigste Bauaufgabe, in der Bundeshauptstadt künftig entwickeln?

Michael Ludwig: Wir müssen entsprechend den demografischen Veränderungen an ein paar Schräubchen drehen. Vor allem die soziale Dimension des Wohnbaus ist elementar. Wir haben künftig verstärkt die Frage zu beantworten, wie sich gesellschaftliche Veränderungen im sozialen Wohnbau umsetzen lassen.

STANDARD: Welche Veränderungen zeichnen sich ab?

Ludwig: Die Menschen werden erfreulicherweise älter, die Familienstrukturen und Arbeitsgewohnheiten ändern sich, der Bedarf nach flexiblem Wohnraum steigt. Wir sind angehalten, auf diese Entwicklungen verstärkt zu reagieren.

STANDARD: Stichwort Wirtschaftskrise: Wird der Wiener Wohnbau Teil eines Konjunkturpakets?

Ludwig: Wien arbeitet tatsächlich gerade an einer Investitionsoffensive. Der Wohnbau, sowohl Neubau als auch Sanierung, soll dabei eine große Rolle spielen. Zudem gehen wir davon aus, dass die Wiener Bevölkerung wachsen wird. Seit drei Jahren gibt es erstmals wieder Geburtenüberschüsse, es gibt nach wie vor Zuwanderung – verstärkt aus EU-Staaten -, und die Bevölkerung wird zunehmend älter.

STANDARD: Was bedeutet das ausgedrückt in Zahlen und Wohneinheiten?

Ludwig: Wir haben bisher rund 5000 Wohnungen pro Jahr errichtet, wir wollen diese Zahl auf 7000 steigern. Parallel zur Neubauoffensive wollen wir im Bereich der Sanierung Schwerpunkte setzen und in den nächsten Wochen eine Sanierungsverordnung verabschieden, um vor allem auch im privaten Bereich Anreize zu schaffen. Denn im geförderten Wohnbau wurden bis dato 70 Prozent aller Häuser thermisch saniert – im privaten Bereich sind es erst 15 Prozent.

STANDARD: Sowohl Bauen als auch Mieten kosten Geld. Wohnbau ist ein elementares Steuerinstrument für die soziale Durchmischung einer Stadt. Welche Pläne gibt es in dieser Hinsicht?

Bettina Götz: Österreich ist eines der wenigen Länder Europas, die das Instrument des sozialen Wohnbaus überhaupt kennen. Gerade Wien definiert sich städtebaulich über qualitativ hochwertigen Wohnbau. Doch unsere Wohnbauförderung funktioniert nur so lange gut, solange Baulücken in gewachsenen Strukturen gefüllt werden. Doch wenn es um Stadterweiterung geht, um größere flächendeckende Strukturen, dann stößt die Förderung rasch an ihre Grenzen.

STANDARD: Welche Probleme ergeben sich in gänzlich neu geplanten Stadtteilen?

Götz: Mit reiner Wohnraumförderung kann man keine funktionierende Stadt bauen. Nur mit neuen Inhalten und neuen Programmen und mit der Einbeziehung des öffentlichen Raumes entsteht benutzbare neue Architektur. Wir brauchen neue Inhalte und neue Programme.

Ludwig: Diese Fragen der Vernetzung wollen wir stärker aufbereiten, wir müssen mittelfristig über Ressorts hinausgehende Konzeptionen andenken. Das ist durchaus als Schwerpunkt gedacht.

Dietmar Steiner: Der Wiener Wohnbau hat unbestritten ein hohes, international herzeigbares Niveau. Im überwiegenden Teil der Welt hat Wohnbau mit Architektur absolut nichts mehr zu tun, da erfolgt reine Bedarfsdeckung. Die einzige Qualitätskontrolle ist eben die Wohnbauförderung, und die bietet die Chance der intensiven Zusammenarbeit mit der Wohnbauforschung und in der Folge des gezielten Einsatzes architektonischer Intelligenz.

Götz: Vieles lässt sich derzeit im modernen Wohnbau, wie ihn die Förderung erlaubt, aber nicht umsetzen, und genau daran müssen wir arbeiten. Wir haben das Problem, gerade in Stadterweiterungsgebieten nur sehr schwer andere Nutzungen unterzubringen. Wenn es im Erdgeschoßbereich nur mehr Mietergärten und Garageneinfahrten gibt, ist der Anschluss an den öffentlichen Raum auf ewig vertan.

Steiner: Umgekehrt kann man bemerken, dass es auch in innerstädtischen Lagen verstärkt verdichteten Flachbau geben sollte. Junge Familien wurden lang genug hinaus in den Speckgürtel der Stadt getrieben.

STANDARD: Architekten berichten stets von Auflagen und Normen und ungeheuerlichen ökonomischen Zwängen, die den geförderten Wohnbau für Planer so schwierig machten.

Steiner: In bestimmten Fragen, etwa was Lärmschutz und bautechnische Ausbildung von Details anlangt, haben wir die Grenze dessen, was wirklich notwendig ist, tatsächlich überschritten.

Götz: Die Schallschutzanforderungen an Innenhöfe sind beispielsweise dieselben wie auf der Straßenseite. Das ist unsinnig und teuer. Doch das gesamte System sollte neu durchdacht werden. Untersuchungen über Nutzbauten in Wien haben gezeigt, dass auf 40 Jahre gerechnet die Baukosten einen Anteil von gerade einmal 15 Prozent ausmachen. Der Rest setzt sich aus Erhaltungskosten und Betriebskosten zusammen. Das zeigt, wie unwesentlich die Errichtungskosten letztlich in der Gesamtbetrachtung von Gebäuden sind. Könnten die nur um ein paar Prozent erhöht werden, würde das einen enormen qualitativen Sprung bedeuten.

Ludwig: Exakt. Die Frage der Nachhaltigkeit von Wohnbauten in dieser Kostenrelation zu sehen ist enorm wichtig. Denn das Entscheidende ist: Was kostet ein Gebäude langfristig in der Erhaltung?

STANDARD: Was aber nicht heißen darf, dass ab sofort nur noch Wohnhäuser im Passivstandard gebaut werden.

Steiner: Wir wissen aus allen Untersuchungen, dass ein erheblicher Teil der Einsparung nur mit dem Engagement der Nutzer selbst realisierbar ist. Nicht alles, was technisch herstellbar ist, wird auch entsprechend genutzt.

Ludwig: Obwohl wir mittlerweile zehn große Passivhausprojekte fertiggestellt haben, bin ich dagegen, diesen Standard für alle Wohnhäuser verpflichtend zu machen. Das soll den Bewohnerinnen und Bewohnern überlassen bleiben, wofür sie sich entscheiden. Auch ist es durchaus möglich, mit Niedrigenergiestandards den klimaschutzrelevanten Kennziffern zu entsprechen. Man muss den Einsatz der Mittel in Relation setzen, das gilt für Neubau genau so wie für Sanierung.

STANDARD: Der geförderte Wohnbau ist nicht zuletzt ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Sozialstruktur einer Stadt und ihrer Viertel. Wie wollen Sie in Zukunft Ghettoisierungen entgegenwirken, wie wir sie aus anderen europäischen Städten kennen?

Ludwig: Durch attraktive Angebote. Wir haben in Wien eine gute Mischung aus Subjekt- und Objektförderung. Wir müssen auch jenen, die es sich eigentlich nicht leisten können, attraktiven Wohnraum bieten können. Dabei ist es wichtig, dass Angebot und Nachfrage in einem guten Verhältnis stehen, und das muss zeitgerecht erfolgen. Es muss allen sozialen Gruppen möglich sein, im geförderten Wohnbau die entsprechende Wohnung zu finden, sodass man nicht schon allein anhand der Wohnadresse feststellen kann, welchen sozialen Hintergrund ein Mensch hat.

Steiner: Das ist allerdings ein politischer Prozess, der in Wien lange Tradition hat und bereits in den 20er-Jahren begonnen hat. Zum Beispiel mit der Adresse Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk. (Ute Woltron, DER STANDARD, Album, 29./30.11.2008)