Zum Stellenwert des Wendejahres 1989 für Europas Identität1 Derselbe Ort fast 20 Jahre später im Licht der "Kunst:Installation" von Eun Sook Lee vor dem Brandenburger Tor. Foto: AP Heinz Mayer: bedenkliche Machtkonzentration. Foto: APA Heinz Mayer* Ein Koalitionspakt ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses und muss als solcher bewertet werden. Parteifunktionäre werden es als positiv bewerten, wenn den Interessen ihrer Partei bestmöglich entsprochen wird; für den Bürger gelten andere Maßstäbe. Er wird sich fragen, ob er einen Nutzen für die Allgemeinheit erkennen kann. Im Idealfall liegen die Antworten nahe beieinander, manchmal aber zeigen sich Differenzen.

Kann sich etwa die Volkspartei freuen, dass sie unter anderem neben dem Finanzminister nun auch das Justizministerium und das Innenministerium in ihrem Einflussbereich hat, so stellt sich die Situation für den Bürger anders dar: Die gesamte Exekutivgewalt des Staates - mit Ausnahme der militärischen Landesverteidigung - ist in der Hand einer politischen Partei. Abgabenexekutive, Sicherheitsexekutive und Staatsanwaltschaften sind - politisch gesehen - in einer Hand.

Das staatliche Gewaltmonopol ist damit auch politisch weitgehend monopolisiert. Und zwar nicht bei einer Partei, die bei den Wahlen eine absolute Mehrheit erlangt hat, sondern bei einer Partei, die nur rund 25 Prozent der Stimmen gewonnen hat.

Der Mann von der Straße wird sich wahrscheinlich nicht fürchten müssen; die Wahrscheinlichkeit, dass die Exekutive gegen ihn politisch instrumentalisiert wird, ist derzeit eher gering.

Mit zunehmender Nähe zur Politik kann die Sache allerdings anders aussehen. Hier kann der Eifer der Strafverfolgungsbehörden rasch erlahmen, wenn es gegen die eigenen Sympathisanten gehen soll. Im Zusammenspiel von Staatsanwaltschaft, Sicherheitsbehörden und allenfalls Steuerfahndung kann es leicht dazu kommen, dass Verdachtsfälle "wegadministriert" werden, wenn dies ein einheitlicher Wille gebietet.

Es ist nicht so sehr das Problem, dass Unschuldige zu Unrecht verfolgt werden, als dass Verdächtige ungeschoren davon kommen. Das ist zwar nie gänzlich auszuschließen - es kann schließlich auch sein, dass eine Hand die andere wäscht -, wohl aber naheliegend, wenn die gesamte Strafverfolgung von einer politischen Partei dominiert wird. Diesfalls nützt dann auch die Unabhängigkeit der Justiz nicht, weil die gar nicht zum Zuge kommt: Wo kein Ankläger, dort kein Richter.

Viele wollen hier kein Problem sehen, weil in Zukunft ohnehin Gemeinsamkeit und Harmonie herrschen werden. Es ist allerdings zu befürchten, dass sich dies spätestens dann ändert, wenn Wahlkämpfe zu bestreiten sind, Wahlergebnisse zu innerparteilichen Auseinandersetzungen führen etc.; Politik kann nicht immer harmonisch sein, sondern schließt den Konflikt ein.

Gerade die jüngere Vergangenheit zeigt, dass man in Konfliktsituationen immer wieder versucht hat, Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitsverwaltung politisch zu missbrauchen. Wer glaubt, so etwas werde sich nicht mehr wiederholen, ist naiv. Wer Macht hat, steht leicht vor der Versuchung diese zu missbrauchen, zumal dann, wenn es um das eigene politische Überleben geht.

Die Koalitionsvereinbarung schiebt dem keinen Riegel vor; man hat es verabsäumt, auf eine ausgewogene Machtverteilung zu achten. Es scheint so, als hätte man das gar nicht bemerkt.

So ganz nebenbei hat die SPÖ damit auch ihren Einfluss auf die Justizpolitik, die ein wichtiger Teil der Gesellschaftspolitik ist, verloren; aber das könnte auch gewollt sein. (*Der Autor lehrt am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.)

 

Dieter Böhmdorfer:

Namhafte Juristen machen sich derzeit große Sorgen. Sie befürchten bei politisch farbengleicher Führung des Innen- und Justizressorts rechtsstaatlichen Schaden. Offensichtlich gehen die Kritiker davon aus, dass die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen nicht ausreichen und die parteipolitische Kontrolle zwischen Rot und Schwarz effizienter wäre. Das ist institutionalisiertes parteipolitisches Lagerdenken. Galt es bisher nicht immer als Fortschritt, wenn an die Stelle politischer die rechtliche Kontrolle trat? Und: Haben wir in der Vergangenheit nicht schon genug rot-schwarze Blockade erlebt? Fast hat es allerdings den Anschein, als ob diese Debatte nur der Vorwand für ein anderes Thema wäre:

Wie immer, wenn das Justizressort eine neue Führung erhält, sorgt man sich nämlich krampfhaft um das Weisungsrecht. Der letzte, unter dem das Weisungsrecht ins Gerede gekommen ist und der vor Jahrzehnten offenkundig das ganze Land justizpolitisch traumatisiert hat, war der Sozialdemokrat Christian Broda, und zwar im Zuge der strafrechtlichen Verfolgung des "AKH-Skandals". Danach kam es zu legistischen Maßnahmen (Staatsanwaltschaftsgesetz 1986), die sicherstellen, dass keine rechtswidrigen Weisungen erteilt werden können: Staatsanwälte haben seit 1986 das Recht, die Ausführung derartiger Weisungen zu verweigern, sie können ersuchen, dass die Rechtssache einem anderen Staatsanwalt übertragen wird, und eine schriftliche Ausführung von Weisungen begehren. Seit 2008 muss die Weisung auch schriftlich zum Akt gegeben werden, sodass sie der Parteieneinsicht unterliegt.

Das Weisungsrecht ist ein inhaltliches Kontrollrecht, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen. Deshalb ist auch der pyramidenartige Aufbau der Staatsanwaltschaft - an der Basis sind die jüngeren und unerfahrensten Staatsanwälte, an der Spitze die erfahrensten - selbstverständlich. An der Spitze agiert ein Sektionschef, beim Justizminister setzt die parlamentarische Kontrolle ein. Dieses System ist verfassungsrechtlich abgesichert und ein wichtiger Baustein im rechtsstaatlichen Gefüge der Republik.

Die Kritiker sind, soweit mir bekannt, auch bekennende Befürworter einer weiteren Vertiefung der Europäischen Union. Doch gerade auf dieser Ebene zeigt sich die Absurdität einer parteipolitischen Blockade der beiden Ressorts, die doch im Rat Justiz und Inneres gemeinsam die Interessen Österreichs vertreten.

Wie sieht die Aufgabenverteilung konkret aus? - Die Gerichte überwachen die Grundrechtseingriffe, die Staatsanwaltschaften leiten die Ermittlungen, die Beamten des Innenministeriums führen sie durch. Weisungen der Staatsanwälte untereinander oder Anordnungen an Beamte des Innenministeriums beeinflussen natürlich den Gang der Strafverfolgung, unterliegen jedoch der Kontrolle der Parteien im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung oder des Antrags auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens.

Aufmerksamkeit und Misstrauen gegenüber politisch motivierten und rechtswidrigen Weisungen bei der Staatsanwaltschaft sind sicher berechtigt. Noch viel mehr Aufmerksamkeit und Misstrauen muss man aber haben, wenn parteipolitischer Kontrolle zwischen dem Justiz- und Innenministerium das Wort geredet wird. Diese hat dort nämlich absolut nichts verloren. Die parlamentarische Kontrolle muss auch funktionieren, wenn eine Partei die absolute Mehrheit hat, schließlich könnte nach dem Scheitern des Kabinetts Dichand I auch der Ruf nach dem Mehrheitswahlrecht lauter werden. Wie sonst sollte man dann das posthume Koalitionsziel, Strache zu verhindern, erreichen? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2008)

(*Dieter Böhmdorfer war in der sogenannten Wende-Regierung, von Februar 2000 bis Juli 2004 österreichischer Justizminister.)