Ein passionierter New Yorker entwickelt mediterrane Gefühle: Woody Allen mit den Darstellern Javier Bardem, Penélope Cruz und Scarlett Johansson am Set von "Vicky Cristina Barcelona".

Zur Person:
Woody Allen (72), Regisseur, Schriftsteller, Komödiant, Hobbymusiker dreht seit über 40 Jahren beinahe jährlich einen Film, etliche davon - "Annie Hall" , "Manhattan" , "Hannah and her Sisters" , "The Purple Rose of Cairo" - sind längst Klassiker des Kinos.

 

 

 

Foto: Filmladen

Dominik Kamalzadeh sprach mit Woody Allen über seine neue Komödie, Europa, Romantik und Duschen.


Ein unmoralisches Angebot setzt die Dinge in Gang: Die beiden amerikanischen Studentinnen Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johansson) werden in Barcelona von einem Fremden, den sie noch nie gesehen haben, zu einem Wochenende aufs Land eingeladen - neben kulinarischen Genüssen verspricht er dabei auch körperliche. Die beiden sagen zu - der Beginn eines turbulenten Liebeskarussells, in dem der Maler Juan Antonio (Javier Bardem) und seine verflossene Frau Maria Elena (Penélope Cruz) die Rollen der maßlosen Leidenschaft besetzen. Vicky Cristina Barcelona ist nicht nur der komischste Film von Woody Allen seit langem, es ist auch sein bisher europäischster.

"Endlich bin ich zu einem ausländischen Filmemacher geworden" , sagt der notorische New Yorker im Standard-Interview. "Schon als junger Mann habe ich das europäische Kino sehr bewundert. Meine besten Freunde und ich haben das europäische Kino der Nachkriegszeit, französische, schwedische, italienische Filme, zu unserem Idol gemacht. Wir wollen selbst wie diese Regisseure sein. Nach vielen Zufällen ist es mir nun endlich möglich, im Ausland solche Filme zu machen."

Standard: Vicky Cristina Barcelona erinnert an italienische Komödien mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. Gab es Vorbilder?

Allen: Eigentlich nicht. Es gab bloß die Auflage, den Film in Barcelona zu drehen. Die Stadt hat mediterranes Flair, sie strahlt diese Wärme aus und ist erfreulich locker. Die Stimmung und Sensibilität des Films wurde auf eine gewisse Art immer europäischer.

Standard: Einige der komischsten Szenen tragen Cruz und Bardem auf Spanisch aus. Wie wurden diese Dialoge entwickelt?

Allen: Zum Teil schrieb ich sie auf Englisch und ließ sie ins Spanische übersetzen. Weil ich aber auf Penélope und Javier sehr vertraute, ließ ich die beiden manchmal auch improvisieren - was sich auszahlte: Sie haben ein paar der besten Szenen tatsächlich einfach erfunden.

Standard: Die Beziehung der beiden Figuren ist eine der obsessiveren Sorte - und dann wird daraus noch eine Ménage à trois.

Allen: Glauben Sie mir, das fiel mir einfach so ein. Es sollte ein sehr - sagen wir - katalanisches Aroma haben. Es lag mir daran, mich diesmal anzupassen.

Standard: Über die beiden Amerikanerinnen verhandelt der Film auch kulturelle Stereotype über den alten Kontinent. Treffen die beiden Frauen auf ihre eigenen Klischees?

Allen: Ich bin mir nicht sicher. Das wäre mehr ein zufälliges Nebenprodukt, weil ich einen Film machen wollte, der zwar amüsant ist, aber zugleich eine sehr ernsthafte Seite hat. Kulturelle Stereotype zu verhandeln war nicht meine Absicht. Wenn es so ist, habe ich Glück gehabt.

Standard: Aber Bardem repräsentiert doch die Figur des Don Juan, eines manischen Verführers?

Allen: Eine solche Figur kann man sich in den USA aber auch ausdenken. Man könnte eine US-Version des Don Juan erfinden ...

Standard: Die würde aber nicht so unironisch ausfallen ...

Allen: Nicht ganz so unironisch, gewiss, aber vertrauen Sie mir, es gibt auch in meiner Umgebung viele solcher Exemplare.

Standard: Über seine Beziehung zu Cruz sagt Bardem, sie sei erst in jenem Moment romantisch geworden, als klar wurde, dass sie nicht halten konnte.

Allen: Ja, so sind die romantischsten Beziehungen! Nur solche, die sich nicht erfüllen, passen in diese Kategorie. Beziehungen, die halten, werden zu etwas anderem. Romantik entsteht, wenn sich ein Paar heftig begehrt. Bleiben sie zusammen und heiraten, haben sie nach zehn Jahren eine glückliche Ehe - das kann wundervoll sein, aber es ist sicher nicht romantisch. Ich meine das gar nicht abwertend.

Standard: Das Romantische ist also nie von Dauer?

Allen: Der romantische Teil ist der unbelohnte Teil einer Liebe.

Standard: Wie sieht es mit Ihrer Beziehung zur Arbeit aus? Sie sind einer der fleißigsten Filmemacher und drehen jedes Jahr einen Film.

Allen: Ich genieße es einfach zu arbeiten. Es gibt Schriftsteller, die es unerträglich, qualvoll oder zumindest sehr schwierig finden zu schreiben. Bei mir ist das nicht so. Ich habe bei der Arbeit das Gefühl, ein Hobby auszuüben - es ist, als ob ich heimkomme, um mit ein paar Freunden zu pokern, an einem Segelschiff zu arbeiten oder eine elektrische Eisenbahn in Betrieb zu setzen.

Standard: Sie haben einmal gesagt, dass Sie diese Arbeitsdisziplin im Fernsehen gelernt haben.

Allen: Das stimmt. Als ich um die zwanzig war, arbeitete ich für TV-Comedy-Shows, die live ausgestrahlt wurden. Dort gab es keinen Platz, an dem man sich verstecken konnte. Man ging am Montagmorgen zur Arbeit und begann an einem Script zu schreiben. Die Darsteller führten es am Samstagabend auf, live, ich musste also rechtzeitig fertig sein. Man konnte nicht einfach herumsitzen und hoffen, dass die Inspiration kommt. Wenn man keine Idee hatte, musste man warten, dass besser schnell eine kommt. So habe ich das routinierte Arbeiten gelernt.

Standard: Sie sind ja in der glücklichen Lage, immer eine Idee zu haben ...

Allen: Irgendwann, ja. Ich habe aber auch schlechte Einfälle. Er erscheint zunächst nur gut, stellt sich dann aber als mies heraus. Man bemerkt es nicht und schreibt sich von Anfang an daran tot. Weil man sich für etwas entschieden hat, womit niemand etwas anfangen kann. Das Projekt beginnt nie zu fliegen. Umgekehrt gibt es wundervolle Ideen, aber es fehlt die Beziehung zwischen der zufälligen Idee und dem Rest, an dem man sich ausschwitzen muss. Manchmal hat man die besten Ideen beim Rasieren. Es gibt also keine Formel.

Standard: Hatten Sie niemals Schreibblockaden?

Allen: Doch, aber es gibt ein Phänomen - und darüber gibt es Studien -, das ich zufällig entdeckt habe: Wenn man in einem Raum sitzt, und die Dinge laufen nicht so, wie sie sollten, dann muss man nur die Umgebung wechseln. Ich gehe spazieren, und der reine Akt, die Wohnung zu verlassen, befreit Gedanken. Oder, noch radikaler, ich nehme einfach eine Dusche, obwohl ich schon in der Früh geduscht habe. Dann lasse ich das Wasser auf mich prasseln und starre keine Löcher mehr in die Luft, und alle Blockaden fallen ab.

Standard: Zum Abschluss: Was sagen Sie zum Ausgang der Wahl?

Allen: Ich bin sehr glücklich. Wir erleben gerade die letzten Tage der schlechtesten Regierung in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Und ich hoffe inständig, dass die neue eine der besten wird - das Potenzial dazu hat sie jedenfalls.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2008)