Eulamie Esclamada, Migrationsbeauftragte des Roten Kreuzes, denkt, dass eine multilaterale Zusammenarbeit zum Schutz der Arbeits- aber auch Menschenrechte der MigrantInnen notwendig ist

Foto: Thomas Marecek/Österreichisches Rotes Kreuz

Soziale Kompetenz, Ausbildung auf akademischem Niveau und hohe Belastbarkeit: Philippinische Krankenschwestern sind im Ausland als Arbeitskräfte gefragt. Mittlerweile verlassen bereits circa 85 Prozent, zumindest temporär, ihre Heimat. In Europa und den USA können sie ein Vielfaches verdienen und damit auch die zurück gebliebene Familie unterstützen. Eulamie Esclamada, Migrationsbeauftragte des österreichischen Roten Kreuzes, spricht im derStandard.at-Interview über die Auswirkungen von kulturellen Hintergründen auf die Arbeit, den Wirtschaftsfaktor Krankenschwester und zerrissene Familien.

derStandard.at: Stichwort Krankenhaus: Wie sieht die Stellung der philippinischen Krankenschwestern unter ihren KollegInnen aus? Wo erleben Sie Probleme?

Eulamie Esclamada: Gerade der Sozial- und Gesundheitsbereich ist sehr hierarchisch aufgebaut. Es gibt direkte und indirekte Diskriminierung. Es kann vorkommen, dass das Personal Diskriminierung als solche gar nicht wahrnimmt. Das hängt mit der betrieblichen Praxis zusammen. Gerade im Gesundheitsbereich ist der Arbeitsstress sehr hoch. Ich hab mit einigen philippinischen Krankenschwestern gesprochen, die mir schildern, dass die Arbeit Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben kann.

derStandard.at: Weil den philippinischen Krankenschwestern vielleicht teilweise einfach mehr zugemutet wird, von Arbeitszeiten und Schwere der Arbeit her?

Esclamada: Genau. Weil immer die Rede vom Burn-Out-Syndrom ist: Es wurde noch nicht untersucht, ob Menschen mit Migrationshintergrund mit Anforderungen teilweise besser umgehen können, aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds. Ich kann nur von philippinischen Krankenschwestern sprechen: Die Arbeit mit älteren Menschen sieht man nicht als belastend an, sondern eher als Aufgabe. In der österreichischen Gesellschaft werden Menschen, die nichts mehr "leisten", nicht sonderlich geschätzt. In anderen Ländern ist der Stellenwert noch höher.

In anglo-amerikanischen Ländern sind Krankenschwestern Akademiker, nur im deutschsprachigen Raum ist das anders. Da kann es auch sein, dass philippinische Krankenschwestern dadurch ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt haben.

derStandard.at: Was bedeutet Migration für das Herkunftsland und für die zurück gebliebenen Familien?

Esclamada: Jahrzehntelang hat sich die Migrationsdebatte nur auf die Auswirkungen von Zuwanderung auf die Zielländer konzentriert und nicht auf die Herkunftsländer. In letzter Zeit hat sich das Interesse endlich auch auf diesen Bereich verlagert. Es gibt positive und negative Auswirkungen. Man unterscheidet zwischen kurz-, mittel- und längerfristigen Auswirkungen des Massenexodus von Pflegepersonal.

Was die positiven Auswirkungen angeht, da sind sicherlich die direkten Geldtransfers von Interesse, die mittelfristig die Wirtschaftssituation in den Herkunftsländern verbessert. Das verdeckt natürlich auch die Arbeitslosenrate in den Herkunftsländern. Ein Beispiel: Im Vergleich zu Thailand waren die Philippinen in den 90er Jahren nicht so sehr von der damaligen Wirtschaftskrise betroffen, da es große Dollarreserven gab.

derStandard.at: Wieviel Prozent der philippinischen Krankenschwestern versuchen ihr Glück im Ausland?

Esclamada: Auf den Philippinen gibt es eine systematische Regelung, wie die Krankenschwestern ins Ausland geschickt werden. Es gibt Ausschreibungen und die Abwicklung organisiert die Agentur POEA - Philippine Overseas Employment Agency. Die Philippinen exportieren ihr Humankapital. Rund 85 Prozent der philippinischen Krankenschwestern gehen zumindest temporär ins Ausland.

Das hat auch Auswirkungen auf ihre Rechte. Sie bekommen wie Saisonarbeiter einen Vertrag auf zwei Jahre, den sie dann immer wieder verlängern können. Das bedeutet aber, dass diese Frauen nie zu ihren Rechten kommen und nie Anspruch darauf haben, die Staatsbürgerschaft zu erwerben.

derStandard.at: Welche Auswirkungen sind durch diese Auswanderungswelle auf den Philippinen zu spüren?

Esclamada: Es setzt sicherlich bereits ein Brain Drain ein. Das verursacht, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung in den Herkunftsländern leidet. Vor ein paar Jahren hat man auf den Philippinen prognostiziert, dass diese Auswirkungen erst in zehn Jahren zu spüren sein werden. Krankenhäuser in den ländlichen Regionen der Philippinen müssen schon jetzt zugesperrt werden, da es an qualifiziertem Pflegepersonal mangelt.

Es ist so: Eine philippinische Krankenschwester geht nach ihrem Studium arbeiten, um die nötige Erfahrung zu sammeln, um ins Ausland gehen zu können. Was übrig bleibt sind oft die Pflegekräfte, die eher weniger Berufserfahrung haben.

derStandard.at: Wie sehen die sozialen Auswirkungen auf den Philippinen aus?

Esclamada: Was bislang noch wenig erforscht wurde, ist die Situation der Hinterbliebenen. Denn im Pflegebereich sind besonders Frauen tätig, die Familie haben und daher motiviert sind ins Ausland zu gehen, um dort mehr Geld zu verdienen. Das ist ein Opfer, das die Frauen bringen. Die Kinder sind oft noch klein, da diese Frauen zwischen 25 bis 35 Jahre alt sind. Das sind zerrissene Familien. Die älteren Geschwister übernehmen die Rolle der Mutter, besonders die Mädchen, und vernachlässigen sich selbst. Das philippinische Rote Kreuz hilft in diesem Bereich und bietet kostenlose Lernbetreuung für diese Kinder.

derStandard.at: Wie sollte Migration gestaltet sein, sodass sie eine win-win-Situation für beide Länder bedeutet?

Esclamada: Es ergibt sich aus der Situation auch eine Chance: Denn wenn man die Mobilität der Krankenschwestern und ihre Auslandserfahrung nutzt, kann es zum Brain Gain kommen. Damit man den Brain Gain nutzen kann, müssten Wege gefunden werden, um Pflegepersonal zu motivieren in ihre Herkunftsländer zurück zu kehren. Ein Push Faktor ist das Lohnniveau. Es muss ja nicht angeglichen werden, aber zumindest muss man davon leben können. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass die Mütter und Ehefrauen freiwillig auf die Philippinen zurückkehren wollen.

Was die Zielländer betrifft: Es besteht sicher Nachfrage. Der Bedarf an Pflegepersonal kann nicht nur durch Menschen ohne Migrationshintergrund gedeckt werden. Aber es sollte internationale ethische Richtlinien zur Rekrutierung von Pflegepersonal geben. Gerade Frauen, die im privaten Bereich arbeiten, müssen geschützt werden. Ich glaube, dass man da eine multilaterale Zusammenarbeit zum Schutz der Arbeits- und Menschenrechte der MigrantInnen erwirken muss. (Julia Schilly, derStandard.at, 28. November 2008)