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Martine Aubry führt künftig Frankreichs Parti Socialiste.

Foto: AP Photo/Thibault Camus

Sie blieb lange im Hintergrund, führte dann den härtesten Kampf ihres Leben und setzte sich schließlich durch: Martine Aubry (58), die Hacklerin aus dem hohen Norden Frankreichs, die am Dienstagabend definitiv zur Generalsekretärin des Parti Socialiste (PS) gekürt wurde. Sie ließ den ehrgeizigen Medienstar Ségolène Royal hinter sich. Damit ist Aubry auch Oppositionschefin und - zumindest auf dem Papier - chancenreichste Präsidentschaftskandidatin der Linken.
Vor einem Monat noch hätte der Absolventin der Eliteverwaltungsschule ENA das niemand zugetraut. Da balgten sich gleich mehrere Parteibarone wie Bertrand Delanoë oder eben Royal um den Parteivorsitz. Aubry blieb im Schatten. Ihre Zeit sei vorüber, hieß es. Nachdem die Arbeitsministerin der Regierung Jospin die 35-Stunden-Woche gegen den Widerstand der Arbeitgeber durchgedrückt hatte, war es um sie auf der nationalen Ebene ruhig geworden. Die Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors zog sich in ihre nordfranzösische Bastion zurück und wurde Bürgermeisterin der Arbeiterstadt Lille.

Dort kam ihr oft brüskes, schnörkelloses Wesen besser an als im komplizierten Politbetrieb Paris. 2004 trennte sie sich von ihrem Ehemann Xavier Aubry, mit dem sie ein Kind hat, um kurz darauf einen Anwalt aus Lille zu heiraten. Davon nahmen die Franzosen kaum Notiz: Anders als Sarkozy schottet Aubry ihr Privatleben nach außen ab. Anders als Royal weigert sie sich, weibliche Reize politisch einzusetzen.
Aubry verhehlt nicht, dass sie eine Parteiorthodoxe ist. "Die Reichtümer umverteilen, indem man zuerst die Löhne erhöht und eine große Steuerreform macht; das Recht auf Arbeit, Wohnung und Gesundheit zurückgeben: Das sind meine absoluten Prioritäten" , meinte sie vor gut zwei Wochen. Die Linkskatholikin und leidenschaftliche Pro-Europäerin zog hinter den Kulissen auch Sozialdemokraten wie Michel Rocard oder EU-Verfassungsgegner wie Laurent Fabius auf ihre Seite.
In ihrer ersten Stellungnahme kündigte sie an, sie wolle der selbstherrlich regierenden Rechten endlich energischen Widerstand entgegensetzen. Das Duell zwischen Oppositionschefin Aubry und Mehrheitsführer Sarkozy dürfte heftiger werden, als es der abtretende Sozialistenchef François Hollande zustande brachte. Sprecher von Sarkozys UMP-Partei tun die neue PS-Chefin zwar als "Politikerin des 20. Jahrhunderts" ab. Die Finanzkrise lässt aber Aubrys etatistischen Ansatz wieder als modern erscheinen. (Stefan Brändle, DER STANDARD, Printausgabe, 27.11.2008)