Die Grünen fordern gesetzlichen Druck. Die Republik lehnt dies ab. Die IKG will weiterkämpfen.

Wien – Seit geraumer Zeit erforschen Sonja Niederacher und Michael Wladika im Leopold Museum die Provenienzen. Als ersten Schritt widmen sie sich 30 Kunstwerken, die, wie es Wladika gegenüber dem STANDARD ausdrückt, "in der öffentlichen Diskussion sind". Mit ersten Ergebnissen ist noch in diesem Winter zu rechnen.

Auch wenn sich herausstellen sollte, dass es Kunstwerke mit problematischer Vergangenheit gibt, ist das Leopold Museum nicht zu Restitutionen verpflichtet: Das Kunstrückgabegesetz aus dem Jahr 1998 bezieht sich nur auf die Bundesmuseen. Das Leopold Museum hingegen ist eine Privatstiftung.

Causa "Bildnis Wally"

Und Rudolf Leopold denke gar nicht daran, in der NS-Zeit gestohlene Bilder zu restituieren. Dies ist die Meinung von Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Denn die ersten Verdachtsmomente wurden Ende 1997 von der New York Times erhoben; die Berichterstattung führte unter anderem zur Beschlagnahme des Ölgemäldes "Bildnis Wally". Der Rechtsstreit ist nach wie vor nicht entschieden. "Die Geschichte ist nicht elf Wochen alt oder elf Monate, sondern elf Jahre", sagte Muzicant am Mittwoch. "Hätte Rudolf Leopold Interesse gehabt, Kunstwerke zu restituieren: Er hätte genügend Zeit dazu gehabt."

Die IKG fordert daher, dass die Stiftung Leopold vom Staat zur Restitution verpflichtet wird. Vor einem Jahr, im Dezember 2007, beauftragte sie den Salzburger Verfassungsrechtler Walter Berka mit einem Gutachten. Er sollte prüfen, ob es zulässig ist, das Rückgabegesetz auch auf "Private" anzuwenden. Berka kam zu dem Schluss: Ja, auch wenn es sich um eine gravierende Eigentumsbeschränkung handelt. Die Argumentation wurde aber nicht veröffentlicht: Die IKG übergab das Gutachten im Februar Kulturministerin Claudia Schmied. Und diese berief eine interministerielle Arbeitsgruppe ein, in der auch das Bundeskanzleramt, das Außen- und das Finanzministerium, das Justizministerium und die Finanzprokuratur vertreten waren. Das Ziel war, "eine Strategie zur Beendigung der – nicht nur für den Ruf der Republik schädlichen – Auseinandersetzungen zu erarbeiten".

Grundrechte der Stiftung

Die Arbeitsgruppe kam zum Ergebnis, wie der STANDARD am 21. Oktober exklusiv berichtete, dass das Leopold Museum in der öffentlichen Wahrnehmung zwar dem Bund zugerechnet wird, ein unmittelbarer Eingriff des Bundes in das Eigentum der Stiftung ausgeschlossen sei. Die Schaffung einer "Lex Leopold" stoße – wegen des damit verbundenen generellen Eingriffs in privates Eigentum – an verfassungsrechtliche Schranken: Die daraus resultierenden möglichen Verfahren würden über längere Zeit rechtlich haltbare und umsetzbare Maßnahmen verhindern. Daher könne eine Lösung nur durch einstimmige Vorstandsbeschlüsse gefunden werden (Leopold und der Bund bestellen je vier Mitglieder). Die Rückgabe einzelner Werke sei jederzeit ohne Verletzung des Stiftungszwecks möglich, weil der Charakter der Sammlung nicht verlorengehe.

Die enttäuschende Haltung der Republik war nun der Grund für die IKG, das Berka-Gutachten doch zu veröffentlichen. Berka stellte sich zunächst die Frage, ob es ein öffentliches Interesse in einen Eingriff in die Grundrechte der Stiftung Leopold gibt. Und er beantwortete sie mit Ja: Die Republik Österreich fühlt sich verpflichtet, das Unrecht in der NS-Zeit wieder gutzumachen. (Im Regierungsabkommen, das am Sonntag beschlossen wurde, heißt es im Kapitel "Kunst und Kultur": "Die Bundesregierung bekräftigt ihr Bekenntnis zur Restitution von Kunst- und Kulturgütern..." bzw. "Die Republik Österreich ist bemüht, auch weiterhin ihrer Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gerecht zu werden.")

Vergleichsfall AKW Zwentendorf

Die Privatstiftung Leopold argumentiert hingegen, dass ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum nicht gestattet sei. Berka gibt dem Einwurf Recht – mit einer Einschränkung: "Wenn es sich beim Museum Leopold wirklich um ein Privatmuseum handeln würde".

Er zitiert in seinem Gutachten einen spektakulären Fall, der nun schon 30 Jahre zurückliegt: Die Tullnerfeld GmbH, die das Atomkraftwerk Zwentendorf errichtete, erhob gegen das Atomsperrgesetz Einspruch, scheiterte aber. Denn das Gericht gestand sich zu, einen "Durchblick" zu machen: Es stellte fest, dass hinter der Tullnerfeld GmbH der Verbund und andere Institutionen des Bundes standen.

Ähnliches gelte für die Stiftung Leopold: Sie wurde mit Mitteln der öffentlichen Hand und der bundeseigenen Nationalbank (insgesamt 160 Millionen Euro) errichtet. Der Bund bezahlte den Bau des Museums (29 Millionen Euro), dessen Betrieb das Kulturministerium subventioniert. Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Rechnungshofes. Zudem wird der Stiftungsvorstand "vom Bund beherrscht", wie sich Walter Berka ausdrückt: Der Vorsitzende des achtköpfigen Gremiums hat das Dirimierungsrecht. Und dieser wird eben vom Bund entsandt. Nach dem Tod von Rudolf Leopold stellt der Bund alle acht Mitglieder des Vorstandes. Und dieser kann die Auflösung der Stiftung beschließen: Der Bund würde Eigentümer – und spätestens dann unterliegt die Sammlung dem Rückgabegesetz.

Berkas Conclusio: "Ich sehe die Einbeziehung der Stiftung in das Rückgabegesetz für verfassungsrechtlich unbedenklich an."

Durchgesickertes Gutachten

Die Pressekonferenz fand am Mittwoch im Presseclub Concordia statt. Sie begann kurz nach 10.30 Uhr. Davor hatte niemand das Gutachten ausgehändigt bekommen. Bereits um 11.24 Uhr veröffentlichte die Privatstiftung Leopold eine Presseaussendung, in der sie konkret auf das Berka-Gutachten eingeht. In der IKG stellt man sich die Frage, wie die Privatstiftung an das Gutachten gelangen konnte.

Die Privatstiftung Leopold meint, dass Berka in seinem Gutachten "eine Reihe verfassungsrechtlicher Problemstellungen unberücksichtigt" lasse. Wie die interministerielle Arbeitsgruppe von Kulturministerin Schmied komme auch der von der Privatstiftung zur Fragestellung der Zulässigkeit einer "Lex Leopold" beigezogene Verfassungsrechtler Theo Öhlinger zum Schluss, "dass im Lichte des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes eine ausschließlich auf das Museum Leopold bezogene Regelung sehr problematisch wäre". Und: "Gleichheitswidrig wäre jedenfalls eine Regelung, die die Restitution von Kunstwerken in Privatbesitz anderen Anforderungen unterwirft als die Restitution sonstiger Sachwerte in Privatbesitz, die unter vergleichbaren Umständen während der nationalsozialistischen Herrschaft den ursprünglichen Eigentümern entzogen wurden."

Auf die IKG-Pressekonferenz reagierte auch Kulturministerin Schmied mit einer vorab ausgesandten Presseerklärung. Die mehrheitlich von Juristen besetzte interministerielle Arbeitsgruppe sei eben "nach intensiver Würdigung der juristischen Aspekte zur Ansicht" gekommen, "dass eine gesetzliche Regelung zwar nicht undenkbar ist, aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jahrelange Gerichtsverfahren – in allen Instanzen bis zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – mit höchst ungewissem Ausgang nach sich ziehen würde". Der Bund strebe eine möglichst rasche und vor allem nachhaltige Lösung der Restitutionsfragen der Leopold Privatstiftung an. Aus diesem Grund habe sich die Arbeitsgruppe "gegen eine hochriskante und zeitintensive gesetzliche Lösung und für die konsequente Fortführung des eingeschlagenen Weges – Einrichtung einer unabhängigen Provenienzforschung, Bewertung der vorgelegten Dossiers und schlussendlich die Restitution von Kunstwerken mit fragwürdiger Vergangenheit durch Entscheidung des Stiftungsvorstandes – entschieden".

Grüne fordern "gesetzlichen Druck"

Die Grünen hingegen fordern "gesetzlichen Druck" auf die Privatstiftung: In ihrem am 28. Oktober eingebrachten Initiativantrag zur Novellierung des Kunstrückgabegesetzes argumentieren sie ähnlich wie Walter Berka. "Institutionen, die der parlamentarischen Kontrolle durch den Rechnungshof unterliegen, müssen vom Kunstrückgabegesetz erfasst werden", forderte Wolfgang Zinggl, der Kultursprecher der Grünen, am Mittwoch erneut in einer Aussendung.

Leopold Vorschlag auf eine finanzielle Einigung mit dem einen oder anderen Erben, lehnt Muzicant weiterhin kategorisch ab: Für ihn kommt nur eine Naturalrestitution in Frage. Er zitierte Simon Wiesenthal: "Ohne Wahrheit keine Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit kein Friede." Es gehe, so Muzicant, nicht darum, Geschäfte zu machen oder Geld zu bekommen: "Es geht mir um Gerechtigkeit." Und er weiß den IKG-Vorstand hinter sich: Er bekräftigte ihn am Dienstag einstimmig, weiterhin die Restitutionen zu verlangen – mit allen rechtlichen Mitteln. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/derStandard.at, 26.11.2008)