Foto: Alfred-Wegener-Institut

Die Antarktis gilt als klimatisches Extrem und als besonders geeignet für Forschungsarbeiten. Neben einigen Forschern leben dort vor allem Pinguine.

Knapp ein Jahr sind sie nun im ewigen Eis, Position: 70°39' Süd, 08°15' West. Ein Jahr auf der Neumayer-Station in der Antarktis. "Einen freien Tag hatte ich während der gesamten Zeit nicht" , sagt Julia Wittig, Meteorologin von der Universität Insbruck. Sie ist eine von neun Überwinterern auf der Forschungsstation in der Antarktis. Im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) hält sie zusammen mit ihren Kollegen den Forschungsbetrieb der Station am Laufen. Seit 1981 messen Wissenschafter des AWI hier Temperatur- und Wetterdaten, untersuchen die Luftchemie und überwachen seismische Aktivitäten und Änderungen im Magnetfeld der Erde. Damit die Untersuchungen auch während der unwirtlichen Winterzeit fortgeführt werden können, zieht jedes Jahr eine kleine Gruppe von Wissenschaftern, Technikern, einem Arzt und einem Koch in die Antarktis. Sie bleiben 15 Monate fernab der Zivilisation.

Zwei Stahlröhren

Die Neumayer-Station ist dabei Wohn- und Arbeitsstätte: zwei Stahlröhren, je neunzig Meter lang und acht Meter breit, verbunden durch einen Zwischengang. Sie wurden 1992 auf das Ekström-Schelfeis in der Akta-Bucht am nordöstlichen Weddell-Meer gebaut. In diese Röhren sind Container montiert, die den Forschern als Labore, Schlafstätten und Aufenthaltsräume dienen. Inzwischen jedoch hat sich eine dicke Schneelast über die Röhren gelegt - die Neumayer-Station gleicht einer unterirdischen Höhle. Wer ans Tageslicht will, muss jedes Mal knapp einhundert Stufen bewältigen. "Dieses mehrmalige Treppensteigen ist eigentlich das Einzige, was mich hier nervt" , sagt Wittig.

Die meiste Zeit des Jahres sind die Überwinterer auf sich allein gestellt. Zwar herrscht im antarktischen Sommer meist Trubel in und um die unterirdische Station: Gastforscher ziehen in die Zimmer und in rote Wohncontainer auf dem Gelände, um bei Höchsttemperaturen um null Grad Celsius verschiedenste Untersuchungen durchzuführen. Der Sommer jedoch dauert nur kurz - von November bis Februar. Danach kehrt Ruhe ein auf der Neumayer-Station, die Überwinterer bleiben allein zurück. Während dieser neun Monate sind sie nur via Funk und Internet mit der Außenwelt verbunden.

Die Forscher müssen die Observatorien und die Station in Schuss halten und sich um die täglichen Messungen kümmern. "Neben der Routinearbeit steht täglich der sogenannte Schmelzendienst auf dem Programm" , sagt die 26-jährige Julia Wittig: Die Überwinterer müssen Schnee in die Schmelze schütten, um so für Frischwasser zu sorgen.

Auch die Dieselgeneratoren, die kleine Windkraftanlage und die Kläranlage der Forschungsstation müssen regelmäßig gewartet werden. Das ist die Aufgabe von Benjamin Heinzius. Der 31-Jährige arbeitet als Stationsingenieur auf der Neumayer-Station. Zusammen mit einem Elektriker und einem Funker sorgt er für die reibungslose Funktion der Technik vor Ort. Vor allem die Schneefahrzeuge sind wartungsintensiv. "Die Kälte macht nicht nur den Menschen hier zu schaffen, sondern auch den Maschinen" sagt Heinzius.

Anders als die Geräte konnten sich die Überwinterer inzwischen jedoch ein wenig an die Kälte gewöhnen. "Mir wird das immer wieder bewusst, wenn ich vor dem Thermometer stehe und bei minus 15Grad denke: ‚Ist das heute warm!‘" sagt Heinzius: "Wenn ich dann vor die Tür gehe und tatsächlich Schal und Haube ausziehen muss, frage ich mich schon manchmal, wie das werden wird, wenn ich wieder zu Hause bin." Seine Kollegin Julia Wittig widerspricht: "Meine Finger werden immer noch sehr schnell kalt."

Die extremen Bedingungen in der Antarktis erfordern zahlreiche Schutzmaßnahmen. Neben der mehrlagigen Thermokleidung und dem roten Kälteschutzoverall ist wegen des Ozonloches eine Skibrille obligatorisch. "Trägt man die nicht, merkt man abends an den brennenden und tränenden Augen, dass man etwas falsch gemacht hat" , sagt Heinzius.

Gefährlich wird es, wenn es zu Schneestürmen kommt. Ab Windgeschwindigkeiten von 40 oder 50 Kilometern pro Stunde wirbelt der lose Schnee auf. Wird der Wind noch stärker, behindern starke Schneetreiben die Sicht. Wenn er dann vor die Tür muss, weil er etwa Messungen vornehmen oder die Garageneinfahrt freischaufeln muss, wird er mit Funk und GPS ausgestattet und darf sich nur noch an Handlaufleinen entlanghangeln, die auf dem gesamten Gelände abgesteckt sind. Zur Sicherheit gehen in solchen Fällen nur Zweierteams vor die Tür.

Wenig Konflikte

Unter den Überwinterern selbst sei es trotz der Enge noch nicht zu gravierenden Konflikten gekommen, berichten die Forscher. Zwar gebe es hin und wieder schon Reibereien, und mancher Kollege entwickle in der Abgeschiedenheit Eigenheiten. "Aber ich vergleiche das Leben hier mit dem Leben zu Hause" , sagt die Meteorologin. "Auch da kann es mit manchen Menschen anstrengend werden."

Immerhin gibt es in der Neumayer-Station einen Fitnessraum, eine Sauna - und dank des erfinderischen Einsatzes von Benjamin Heinzius seit einigen Monaten auch einen kleinen Pool, erbaut aus Restholz und geheizt mit der Abwärme der Dieselgeneratoren. Die größte Entschädigung für die Strapazen sei allerdings die Natur, sagt Julia Wittig. "Ich genieße die Einmaligkeit der Antarktis: die Abgeschiedenheit, die Einsamkeit, das Weiß und die Pinguine!"

"Und mein Geburtstag hier war wohl der gelungenste meines Lebens" fügt Benjamin Heinzius an. Er war im September mit vier Kollegen auf der sogenannten Traverse, einer zehntägigen Fahrt zu zwei seismischen Außenstationen. Seine Kollegen schmuggelten eine selbstgebackene Marzipantorte mit, dank der Außentemperaturen tiefgefroren. Abends gab es dann noch ein kleines Lagerfeuer.

Mittlerweile ist die Einsamkeit vorbei. Der antarktische Sommer steht vor der Tür. Mit ihm kommen die Gastforscher und das neue Überwintererteam. Den Wissenschaftern bleiben drei Monate, um die Neuankömmlinge mit allem vertraut zu machen, bevor sie dann zusammen mit den Gastforschern endgültig abreisen. In diesem Jahr kommen zusätzlich auch einige Bauarbeiter. Denn die alten Wohnröhren werden durch eine überirdische Forschungsstation ersetzt. Anfang 2009 müssen die neuen Überwinterer ihre Umgebung von der warmen Stube aus nicht mehr mit einer Webcam betrachten. (Tanja Krämer/ DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2008)