Bild nicht mehr verfügbar.

Michael Bach: 35 Prozent bis 50 Prozent aller Patient/innen mit chronischen Schmerzsyndromen haben in der Vergangenheit Erfahrungen mit Misshandlungen gemacht.

Foto: APA /Hans Klaus Techt

nz - Karrieren von chronischem physischem Schmerz sind häufig Folge psychischer Verletzungen. "35 Prozent bis 50 Prozent aller Patient/innen mit chronischen Schmerzsyndromen haben in der Vergangenheit Erfahrungen wie sexuellen Missbrauch, Misshandlungen, emotionale Vernachlässigung, Entwertung oder - vor allem bei Asylbewerbern häufig - von kriegerischen Auseinandersetzungen gemacht", so Michael Bach (Leiter der Abteilung für Psychiatrie am LKH Steyr) in einem Pressegespräch. "Vor allem unter Frauen mit Fibromyalgie, einem Ganzkörper-Schmerzsyndrom ohne erkennbaren Ausgangspunkt, finden wir einen extrem hohen Anteil häuslicher Gewalterfahrungen."

Zusammenhang

Der Grund für diesen Zusammenhang liegt vermutlich darin, dass die Verarbeitung von körperlichem und psychischem Schmerz - etwa bei Depression - im Gehirn durch die gleichen Regelkreise gesteuert wird. Daher, so der Schmerzspezialist, ist körperlicher Schmerz immer auch ein emotional schmerzhaftes Ereignis, wie auch aus der Definition der Internationalen Schmerzgesellschaft hervorgeht.

"Das bedeutet nicht, dass jeder traumatisierte Mensch zwangsläufig ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt, wohl aber, dass er oder sie ein weit höheres Risiko dazu trägt", so Prof. Bach. Ein plakatives Beispiel: Wer in seiner Kindheit aufgrund eines unterstützenden, empathischen Elternhauses gelernt hat, Schmerzerfahrungen im Gehirn gut zu verarbeiten, wird auch als Erwachsener einen Beinbruch beim Schifahren gut überstehen. Wer als Kind jedoch missbraucht, geschlagen und/oder mit seinen Schmerzen allein gelassen wurde, hat damit sein so genanntes Schmerzgedächtnis negativ programmiert. Prof. Bach: "Bei solchen Menschen sehen wir immer wieder, dass Bagatellanlässe wie das Aufheben einer zu schweren Mineralwasserkiste oder ein leichtes Peitschenschlagsyndrom zum Startschuss einer chronischen Schmerzkarriere werden können."

"Schutz" der heimischen vier Wände

Die schwersten seelischen Verletzungen finden zumeist im "Schutz" der heimischen vier Wände statt, weshalb die Dunkelziffer extrem hoch ist. Auch ÄrztInnen denken an diesen Faktor viel zu selten", so Prof. Bach. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheit (ÖBIG) hat daher eine ExpertInnenrunde einberufen, die als "ARGE Häusliche Gewalt" forschen und informieren wird.

Ziele, so Prof. Bach, sind einheitliche Dokumentationsprozesse, durch die wir ein vollständigeres Bild der tatsächlichen Situation in Österreich erhalten werden, die Erarbeitung von Werkzeugen, mit deren Hilfe wir häusliche Gewalt in der medizinischen Praxis leichter erkennen und therapeutisch abdecken können. Ebenso ist ein nötiges Ziel die Erweckung des Problemsbewusstseins bei unseren KollegInnen: Die Beschwerden, die unsere PatientInnen in der Praxis schildern, müssen ernst genommen werden, auch wenn sich keine körperlichen Ursachen finden lassen. "Gerade in diesen Fällen müssen ÄrztInnen versuchen, hinter die Kulissen zu schauen und weiterfahnden, welche Faktoren hier wirken - was natürlich Zeit kostet und vom Gesundheitssystem entsprechend honoriert werden muss," so Bach. (red)