Vorbei an Schweineställen und abgeernteten Getreidefeldern geht die Fahrt zu einer Lagerhalle aus Fertigbeton. Die Besuchergruppe aus Österreich betritt sie durch ein halboffenes Schiebetor. Drinnen ist es zunächst dunkel, doch schnell gewöhnt sich das Auge an die diffuse Stimmung der Gedenkstätte für das Massaker von Ovèara bei Vukovar im Jahr 1991. An den Wänden hängen von hinten beleuchtete Porträts der 200 Opfer. In den Betonboden eingelassen sind Patronenhülsen. In der Mitte ist eine Vertiefung, die rot ausgeleuchtet ist und in der sich ein spiralartiges Laufband mit den Namen der hier Erschossenen dreht.
Der 20-jährige Student und Fremdenführer Ivor Mayer erzählt knapp und unaufgeregt die Geschichte der Schweinefarm Ovèara. "Nach dem Fall von Vukovar am 18. November 1991 brachten die serbischen Soldaten 261 Patienten und Ärzte des Krankenhauses hierher. Sie schlugen und folterten sie. 61 von ihnen wurden in andere Ortschaften gebracht. Die anderen 200 wurden in der Nacht vom 20. zum 21. November zu einem eineinhalb Kilometer entfernten Acker geführt. Sie mussten sich in Gruppen zu 15 bis 20 Mann aufstellen. Ein Maschinengewehr mähte sie nieder."

Mayer spricht lupenreines Deutsch. Er wuchs in Deutschland auf, nachdem seine Familie vor dem Krieg in Kroatien (1991-1995) geflohen waren. Er arbeitet für das Reisebüro Danubiumtours, dessen Besitzer, das Ehepaar Zoran und Zrinka Šesto, eine etwas andere Art des "Kriegstourismus" propagieren. "Wir wollen zeigen, wie es war" , sagt Zoran (39). "Es geht ums Erinnern, um die Fakten. Ohne Wut, ohne Hass, ohne auf den anderen mit dem Finger zu zeigen. Ich rechne noch in diesem Jahr mit dem ersten Bus mit Gästen aus Serbien."

Dabei hat der Krieg in keiner anderen Stadt Kroatiens so viele Opfer und Zerstörung hinterlassen wie in Vukovar. Fast drei Monate lang hatte die serbisch geführte Jugoslawische Volksarmee (JNA) die etwa zur Hälfte von Kroaten und Serben bewohnte Donaustadt belagert, sie mit Bomben und Granaten in Schutt und Asche gelegt. Knapp 2000 nur leicht bewaffnete Kroaten leisteten energischen Widerstand. 1700 Tote, unter ihnen 1100 Zivilisten, waren auf kroatischer Seite zu beklagen. Über die Höhe der Verluste auf der serbischen Seite gibt es bis heute keine Angaben.

30.000 Menschen leben heute in Vukovar, davon 10.000 Serben. Nicht nur der Wiederaufbau stockt, auch die Wirtschaft kommt nur schwer vom Fleck. 26 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit, zehn Prozentpunkte über dem Landesschnitt. Viele Junge wandern ab.

Zoran Šesto hat sich dem Kampf gegen diese Abwärtsspirale verschrieben. Im Krieg hatte er als Soldat gekämpft, bei Zadar an der Küste, dann in Bosnien. Danach ließ er sich in Zagreb nieder, wo er seine gleichfalls aus Vukovar stammende Frau Zrinka kennenlernte. 2001, als ihr Sohn geboren wurde, entschlossen sich die beiden, nach Vukovar zurückzukehren. Zrinka begann mit der Führung von Touristen, Zoran arbeitete als Rezeptionist und Marketingchef im 2005 eröffneten Vier-Sterne-Hotel "Lav" (Löwe). Anfang 2007 machte sich das Paar selbstständig und gründete das Reisebüro Danubiumtours.

Inzwischen beschäftigt man drei Angestellte, dazu freiberufliche Fremdenführer. Durch reges Marketing erreichte es Zoran Šesto, dass nun auch etliche Donaukreuzfahrtsschiffe in Vukovar anlegen. Längst bietet man nicht nur die Besichtigung der Gedenkstätten an. Das wellige Land entlang der Donau lädt zu idyllischen Radtouren ein. Das nahe Barockstädtchen Ilok lockt mit einem pittoresken Jahrmarkt und Winzerfest. Für stress- und intrigengeplagte Firmenmanagements offeriert der Reiseveranstalter "teambildende Seminare" . "Wir vermitteln, was da für ein Zusammenhalt war unter den Menschen während der Belagerung. Und das wirkt echt aufbauend." (Gregor Mayer aus Vukovar/DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2008)