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Der Russian Tea Room in der Carnegie Hall, ein klassischer Ort des Deal-Makings, hat wieder geöffnet - New Yorks Nobel-gastronomie scheint krisensicher.

Foto: AP/Willens

New York - Arbeitsfrühstück im New Yorker Finanzdistrikt. Es ist als habe Petrus nachgetreten. Frierend steht das gemeine Fußvolk vor den Imbissständen. Kaffee aus dem Pappbecher und Bagel in der braunen Tüte: Wohl dem, der in den oberen Etagen der Wolkenkratzer residiert. Denn dort gibt es firmeneigene Speisesäle mit Haubenköchen und behandschuhten Kellnern. Ende des 19. Jahrhunderts eröffneten im Umfeld der Wall Street die ersten Exklusivlokale für Manager. Heute gibt Corporate America jeden Tag rund 100 Dollar pro Nase für die Gaumenfreuden seiner obersten Spesenritter aus.

Ein Hauch davon, wie die New Yorker Business-Elite speist, vermittelt das Rockefeller Center, erbaut durch den Sohn des Ölmagnaten während der großen Depression in den 30er-Jahren. Im 65. Stock herrscht heute wie damals keine Krisenstimmung. Die Stilmöbel sind aus der Gründerzeit, das Geschirr ist von Tiffany: Im edlen Rockefeller Center Club treffen sich Topmanager zum Power Breakfast. "Hier fädeln wir unsere Deals ein", verrät Robert Johnson, Chairman von Levuma Industries und winkt betont freundlich hinüber zum Nebentisch. Dort speist Richard Dean Parsons, der Boss des Medienkonglomerates Time Warner. "Hier erfahren wir auch aus erster Hand, was in der Politik geschieht, ob national oder international", so Johnson. "Es geht um Dollars und sonst nichts."

Networking zu Silberbesteck

Die Frühstücksrunden im Rockefeller Center Club werden argwöhnisch vor fremden Augen geschützt. Rein kommt nur, wer vom Vorstand akzeptiert wird und tief in die Tasche greift. 1000 Mitglieder zahlen je einen jährlichen Beitrag von 2700 Dollar. Dafür bekommen sie allerdings Haute Cuisine, die es mit den besten Restaurants Manhattans aufnehmen kann. Küchenchef Roberto Deiaco kennt jeden kulinarischen Trend. "Unsere Gäste eilen ständig von einem Termin zum anderen", sprudelt es aus ihm hervor, "trotzdem legen sie wie der Rest des modernen Amerikas jetzt Wert auf eine ausgewogene Ernährung: Sie wollen gutes, leichtes Essen - Alkohol ist natürlich tabu."

Auch über die edlen Speisekantinen hinaus geht so manches Geschäft in New York sprichwörtlich durch den Magen. Schnellimbissketten wie McDonald's sind bekanntermaßen schwergewichtige Spekulationsobjekte an der Wall Street. Doch die US-Anleger haben auch Appetit auf Gourmetlokale.

ARK Restaurants of Manhattan ist seit 1985 an der Technologiebörse Nasdaq gelistet. Und ebenso aufregend und schnelllebig ist jetzt das Leben von Michael Weinstein. "Die Anleger sind wie anspruchsvolle Gourmets", sagt der CEO, "die Qualität ist unser Markenzeichen und ihre Rendite". ARK Restaurants betreibt zwei Dutzend Edellokale verteilt über die ganze USA. Vor allem in New York boomt das Geschäft: Hier verzeichnete der Konzern 2007 erneut eine Zuwachsrate von zehn Prozent. Entsprechend prall gefüllt ist die Krisenkasse. Trotz der derzeitigen Talfahrt an der Wall Street erhalten die Aktionären eine Dividende.

Auf gesunde Kost setzen

Klasse statt Masse, so lautet das Erfolgsgeheimnis gegen die Rezession. Auch beim Fast-Food-Giganten Yum. Der Mutterkonzern von Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken und Taco Bell meldet dank der Verlagerung auf gesündere Kost wie Fisch oder Gemüse selbst auf dem Heimatmarkt steigende Absätze.

Aber Yum ist eine Ausnahme. Fünf US-Restaurantketten haben seit Jahresanfang Bankrott angemeldet. Die meisten anderen sind nur noch ein Bruchteil dessen wert, was sie einmal waren. Der Konjunkturflaute macht der Branche ebenso zu schaffen wie steigende Lebensmittelpreise. Die Marktforscher der NPD Group haben ausgerechnet, dass ein Restaurantbesuch in den USA heute rund dreimal mehr kostet als selber kochen. Selbst der Fast-Food-Sektor kann da nicht mehr mithalten. "Bei der Rezession Anfang der 90er-Jahre haben die US-Schnellimbissketten vier Prozent ihres Umsatzes an Supermärkte verloren", sagt Analyst Brian Moore, "warum sollten sie diesmal verschont bleiben?"

Das Herz der Wall Street

Doch egal, wie es um den Dow Jones und die Geldbeutel steht. An einem Platz herrscht immer gute Laune: Harry's, nur einen Steinwurf von der Wall Street entfernt, ist seit vier Jahrzehnten die Stammkneipe der Börsianer. Ted Weisberg hat alles mitgemacht. Die fetten Jahre, als es in der Herrentoilette noch private Telefone für die Top-Broker gab. Die mageren Zeiten, wo alle anschrieben ließen. "Alles ändert sich und bleibt doch gleich. Ich fühle mich hier jedes Mal wie neugeboren, denn ich habe genau so angefangen, wie all die jungen Leute hier." Auf dem Börsenparkett schlägt der Puls der Wall Street. Bei Harry's schlägt ihr Herz. Ein Kolumnist sagte einmal: "Diese Kneipe ist das einzig Sichere in allen Zeiten." (Beatrice Uerlings aus New York, DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2008)