Regisseur Dieter Berner inszeniert TV-Krimis – und kultiviert "linke"  Erfahrungen.

Foto: Hendrich

Wien - Der Kollaps der internationalen Finanzmärkte ist ein wunderbar abstrakter Vorgang. Kredite, deren Fäulnis auf alle diejenigen durchschlägt, die mit der Bündelung von Obligationen ihre Spekulationsgeschäfte gemacht haben, um damit andere, "konservativere" Anleger zu ruinieren, sind wohl nicht mit Händen zu greifen.

Es sind daher immer die Gutgläubigen, die den Einsatz ihrer Arbeitskraft mit der Zerstörung ihrer Illusionen lebensruinös bezahlen. Figuren wie der musteramerikanische Handelsvertreter Willy Loman in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden (1949), dessen Antriebe von immaterielleren Stoffen zehren. Loman, der ab Freitag, 21.11., 19.30 Uhr, von Heinz Marecek gespielt seine Wiederauferstehung im Wiener Volkstheater feiert, ist der Tragöde unter den Opfern. Seine Wahrheit ist konkret.

Regisseur Dieter Berner ("Ich arbeite gerne mit Marecek: Er sieht wie ein normaler Mensch aus, nicht wie ein Schauspieler!" ) muss man nicht nach "Engagement" und Haltung befragen. Berner, der mit der bildgewaltigen Einrichtung der Alpensaga (1976-1980) Fernsehgeschichte schrieb, indem er einen Blick "von unten" herzustellen vermochte, lehrt heute an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam junge Menschen, was es heißt, "Empathie" zu zeigen. "Einfühlung" ist laut Berner (64), gerade mit Blick auf gesellschaftliche Veränderungswünsche, eine echte Produktivkraft.

"Ich versuche, bei meinen Studenten positive Eigenschaften zu kultivieren." Berner, Vater von drei großteils erwachsenen Söhnen, glaubt an einen Pendelschlag der Geschichte: "Vor fünf Jahren brauchte man das Wort ,Solidarität‘ vor jungen Menschen überhaupt nicht in den Mund nehmen." Das habe sich gewaltig geändert, auch wenn die alten Feindbilder am Zerrinnen seien.

"Heute artikuliert sich Protest eben primitiver: Das wiederholte Erstarken des Rechtspopulismus ist doch ein beredtes Zeichen dafür." Berner sagt zum Beispiel, dass sich Ansehen und "geschichtlicher Auftrag" der heimischen Sozialdemokratie von den Bürgerkriegsereignissen 1934 - und der damit einhergehenden Demagogie - nie wieder zur Gänze erholt hätten.

Seinen Loman holt Berner direkt aus der Illusionskammer des "American dream" ab: dem Autokino. Jene Gestalten der Vergangenheit, die das Gemüt des Zerrütteten sinnzerstörend umschwirren, treten unter einer kolossalen Leinwand ins "Offene" hervor. "Ich selbst bin in einer Zeit aufgewachsen, als Rollenmodelle und Werte aus Amerika maximal attraktiv geworden waren" , erzählt Berner: "Sie verhießen einen Ausweg, denn die Werte der Eltern hatten in den klaren Untergang geführt!"

Berner selbst hat in den "heißen" Jahren des Protests viele einschlägige Erfahrungen gesammelt. Als Gründungsmitglied des Wiener Theaters Courage geriet er bald in den Bann damalig kurrenter Mitbestimmungsmodelle. Manche Veteranen-Erinnerungen klingen heute wie Prosa vom Mond: "Man kam um neun Uhr ins Haus, hatte nach der Probe Dramaturgiesitzung, traf sich um 17 Uhr in der Besetzungsgruppe. Nach der Abendvorstellung fragte man sich: Wann lerne ich meine nächste Rolle?" Erfahrung vergehe nicht: "Als Schauspieler wirst du ein Kantinenintrigant - oder du empfindest dich als verantwortlicher Teil des Ganzen!" (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.11.2008)