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Hanna Schygulla erzählt in ihrem Soloprogramm von Höhen und Tiefen ihres mitunter recht wilden Lebens.

Foto: Tobias Schwarz / Reuters

Die New York Times feierte sie als "deutschen Weltstar", Elfriede Jelinek verglich sie mit einem Seidentuch, das man in die Luft wirft, um Bilder darauf projizieren zu können: Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinders Lieblingsdarstellerin, schrieb mit ihren Frauenrollen - nicht nur - deutsche Filmgeschichte. Nächste Woche wird die laut Time Magazine "aufregendste Schauspielerin Europas" im Wiener Theater Akzent mit ihrem autobiografischen Soloprogramm Aus meinem Leben auftreten. Die Zweitkarriere als Sängerin verdankt sich, wie sie sagt, eigentlich einer Notsituation: Sie hatte ihre Eltern bis zu deren Tod gepflegt und konnte deshalb keine längerfristigen Projekte annehmen: "Es war damals ein Rückzug ins Unbekannte. Dienen, statt bewundert zu werden. In dieser Zeit konnte ich nur Sachen für mich entwickeln und mich sozusagen auf die Bühne schmeißen, ohne große Proben. Dafür war natürlich ein Soloprogramm geeignet, da brauchte ich nur mich und einen Pianisten. Die Musik habe ich übrigens nur übers Hören gelernt, ich kann nämlich keine Noten lesen."

Standard: Von der Holzhändlertochter aus München auf das Titelblatt des "Time Magazine", das ist ein weiter Weg, den Sie zurückgelegt haben. Wie prägend war da Ihr Elternhaus?

Schygulla: Mütterlicherseits hatte die Familie so einen Drall ins Bourgeoise, dabei stammte sie eigentlich von Bauern ab. Meine Mutter hätte immer gern Klavier gespielt, hat es dann aber aufgegeben. Und sie hat auch davon geträumt, Zirkustänzerin zu werden. Oder Schauspielerin. Das hat sie mir aber erst viel später gesagt. So gesehen habe ich ihren Wunschtraum übernommen. Meinen Vater hat Kultur überhaupt nicht interessiert. Für ihn war mein Lebensweg sehr befremdlich.

Standard: Ihr Soloprogramm heißt "Aus meinem Leben". Es gehört Mut dazu, seine Gefühle so öffentlich zu machen. Was aus Ihrem Leben erzählen Sie denn?

Schygulla: Vom Flüchtlingskind-Sein und dass ich mich wahrscheinlich wohl deshalb immer mit dem Fremden identifiziere. Vom Tod, der mich schon als Jugendliche beschäftigt hat, weil zwei meiner Freundinnen früh gestorben sind. Dann natürlich die Rock-'n'-Roll-Zeit, Sex Appeal, einfach das Heiße, der Durchbruch 1968 zu etwas Neuem. Mein Streben, kein Handlanger der Gesellschaft zu sein, sondern ein Mensch zu bleiben, dem es mehr und mehr gelingt, aus Liebe zu handeln. Und natürlich über Fassbinder und die ganze Kulturrevolution damals.

Standard: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Schauen Sie mit Wehmut zurück?

Schygulla: Nein, ich schaue nicht wehmütig zurück, sondern ich blicke eher mit Wehmut nach vorne: Wie lange werde ich noch gesund sein und das machen können, was mir Freude macht. Das, was gewesen ist, ist gewesen. Aber ich finde ja sowieso, dass von der Kindheit, der Jugend, sogar Pubertäres und auch manchmal noch etwas von der erotischen Kraft hochkommt. Und momentweise geistert das alles noch in uns herum, auch wenn wir dann schon das dritte Alter betreten haben. Es kommt an die Oberfläche und verschwindet dann auch wieder. Das ist der Reiz des Alters. In letzter Zeit spiele ich oft Frauen, die älter sind als ich, manchmal zehn Jahre, zum Beispiel die Achmatowa, eine Dichterin aus der Stalinzeit. Oder kürzlich im Fernsehen, da war ich eine Frau zwischen 47 und 80.

Standard: Wenn Sie die Regisseure, mit denen Sie früher zusammengearbeitet haben - Fassbinder, Godard, Carlos Saura, Ettore Scola -, mit jenen von heute vergleichen, zum Beispiel mit Fatih Akin: Wie hat sich denn das Filmemachen im Laufe der Jahre verändert?

Schygulla: Also, ich würde sagen: Schminke spielt nicht mehr die Rolle wie früher, auch Licht nicht, was ich schade finde, weil Licht immer noch sehr viel bewirken kann. Ästhetik ist nicht mehr so wichtig. Aber dafür geht es den Regisseuren wieder darum, dass man sich nicht nur einfach gut amüsiert wie in den Komödienzeiten, sondern schon auch darum, Fragen zu stellen: Wo geht denn unsere Welt hin? Klimakatastrophen, Wirtschaftskrise, die wahnsinnig galoppierende Armut, in der Dritten Welt und auch bei uns. Es sind soziale Fragen, die sie abhandeln. Gleichzeitig wird für sie das Element Hoffnung wieder wichtig. Wir fanden früher, dass es nötig ist, diesen ganzen Kitsch wegzuräumen und zu desillusionieren, damit etwas Neues, Revolutionäres entstehen kann. Jetzt ist man von Haus aus so desillusioniert, dass man doch wieder möchte, dass da jemand Hoffnung streut; dass man aus dem Kino rauskommt und Lebensfreude getankt hat.

Standard: Gibt es einen Regisseur, bei dem Sie bedauern, dass es zu keiner Zusammenarbeit kam?

Schygulla: Ja, bei Krzysztof Kieslowski zum Beispiel. Und ich bedauere, dass ich nicht noch einmal etwas mit George Tabori machen konnte. Oder mit Klaus Michael Grüber, der ja auch heuer gestorben ist.

Standard: Was muss ein Regisseur haben, damit Sie mit ihm arbeiten?

Schygulla: Es könnte sogar ein Erstlingsfilm sein, wenn mir das Drehbuch gefällt. Der Regisseur muss eine gewisse Tiefe haben, aber auch lachen können. Humor ist wichtig. Ich mag auch gern Leute, die mysteriöse Filme machen, wie Alexander Sokurov. Ja, und ich finde wichtig, dass auch Leute Filme machen können, die ein breites Publikum ansprechen. Doris Dörrie beispielsweise, die früher Komödien gemacht hat, die mir nicht wirklich gefallen haben, ist im Vorjahr mit Kirschblüten ein wirklich guter Film gelungen. Viele Leute können etwas damit anfangen. (Sie lacht.) Ich will einfach zu viel. Es kann nicht einer alles haben, aber eins davon könnte einer haben. Und dann ist noch die Frage, ob der mich will. (Andrea Schurian, DER STANDARD, Print, 21.11.2008)