Sissa Micheli: "Victim of Apartment Fire Is Mourned by Neighbors, NY TIMES, April 22, 2006",#1, c-print, 50 x 50 cm, 2007.

Foto: Sissa Micheli

Fast so alt wie das fotografische Medium selbst ist auch der Versuch, dessen Glaubwürdigkeit, diesen edlen Schein des Dokumentarischen, zu zerstören. "Fotografie lügt", meint Sissa Micheli, die diese Untugend in fotografischen und filmischen Bildessays zwischen Fakt und Fiktion hervorkitzelt und infrage stellt.

Mit "Remind me - rewind me" in der Startgalerie des Musa spinnt Sissa Micheli ein trügerisches Netz aus Uneindeutigkeiten: Ausgangspunkt sind Berichte der New York Times, häufig über ermordete Frauen. Micheli nutzt auf der einen Seite das Vertrauen der Betrachter in das Faktische der Bilder. Trügerische Bilder, die sich zwar an realen Hintergründen entlanghangeln, aber ebenso Lücken in der Erzählung mit fiktiven Inszenierungen füllen.

Auf der anderen Seite macht sie die Leerstellen der Storyboard-ähnlichen Geschichten ebenso sichtbar, verführt dazu, die Erzählung mit eigenen Gedanken zu ergänzen - intuitiv oder detektivisch. "Little stories between the visible and the invisible", so der Untertitel der raffinierten Präsentation. Micheli (geb. 1975 in Bruneck) tritt auch selbst als Protagonistin in Erscheinung.

Ein weiteres Element, das bewusst uneindeutig bleibt: "Ich setze mich selbst als Hauptfigur, aber auch als X, als Platzhalterin für alle Frauen, für Opfer und TäterInnen, für BetrachterInnen und VoyeurInnen", erklärt Micheli, die heuer ihr Diplom an der Akademie der bildenden Künste machte. Das fragmenthafte Erzählen charakterisiert überdies ihre Videoarbeit "memories in a flat". In der Wohnung der verstorbenen Großmutter werden in scheinbar privaten und subjektiven Bildern einer Handkamera, die aber sehr wohl den Gesetzen abendländischer Bildkomposition gehorchen, Erinnerungen abgespult ("rewind me").

Die Quellen dieser Erinnerungen sind jedoch Fotos und widersprechen somit der filmischen Erzählung. Micheli vertauscht die Charakteristika von Film und Fotografie. Ein Spiel, das für den Reiz der Arbeiten wesentlich mitverantwortlich ist. Weitere Werke zeigt Micheli derzeit in der Gruppenausstellung "traces - Erinnerung in Fotografien" und bei Artmart, beides im Künstlerhaus. (kafe / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.11.2008)