Michael Hartmann: "Neben dem Lobbying spielt die Übereinstimmung in den grundlegenden Denkmustern aufgrund der gleichen sozialen Herkunft aber eine noch viel größere Rolle."

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Heute lässt sich "Übereinstimmung zwischen der politischen und wirtschaftlichen Elite leichter herstellen, als das vor 20 Jahren noch der Fall war", sagt Eliteforscher Michael Hartmann im Gespräch mit derStandard.at. Grund dafür sei eine stärkere "Übereinstimmung in den grundlegenden Denkmustern aufgrund der gleichen sozialen Herkunft". Hartmann sprach mit derStandard.at über Gerhard Schröder und Werner Faymann, die beide "eine große Nähe zur Wirtschaft und zu den Medien" haben, die starke Annäherung der Politik an die Wirtschaft und über die Bedeutung der sozialen Herkunft für das politische Wirken. Die Fragen stellte Katrin Burgstaller.

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derStandard.at: Insgesamt konstatieren Sie für Europa, dass die politischen Eliten immer geschlossener werden. Menschen aus der sogenannten Normalbevölkerung haben wenig Chancen in die obersten Ränge der Politik zu gelangen.

Hartmann: Es gibt Länder, in denen die politische Elite immer sehr geschlossen war, etwa Großbritannien, Frankreich, Spanien und Portugal. Und es gibt viele Länder, gerade in Mitteleuropa, dazu zählen Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder und Italien, in denen die politische Elite den Gegenpol zur Wirtschaftselite bildete. In fast all diesen Ländern hat sich in unterschiedlichen Tempo in den letzen zwei Jahrzehnten eine Angleichung der wirtschaftlichen an die politische Elite vollzogen. Am stärksten hat sich dieser Prozess sicher in Deutschland und in Italien entwickelt. Die Eliten im ehemaligen Ostblock haben einen späteren Einstieg in die Politik erfahren. Für diese Länder gelten andere Regeln.

derStandard.at: Wie sehen Sie die Lage in Österreich?

Hartmann: In Österreich ist die politische Elite nach wie vor kleinbürgerlich sowie durch Arbeiterkinder geprägt. Auch Werner Faymann ist Vertreter einer politischen Tradition, die in Österreich noch relativ intakt ist.

derStandard.at: Reiche bekommen Zutritt zur Politik auf unterschiedliche Wege, etwa durch Lobbying. Denken Sie, dass das in Österreich nicht der Fall ist?

Hartmann: Dafür kenne ich Österreich nicht gut genug. In Deutschland spielt Lobbying eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur auf Ebene der Verbände. Einzelne Unternehmen und Unternehmer suchen direkten Kontakt zur Politik. Neben dem Lobbying spielt die Übereinstimmung in den grundlegenden Denkmustern aufgrund der gleichen sozialen Herkunft aber eine noch viel größere Rolle. Das kann man etwa bei Fragen um die Erbschafts-, Vermögens- und Höhe der Einkommenssteuer beobachten. Im großbürgerlichen Milieu hat die überwiegende Mehrheit dazu eine ganz klare Position.

Früher hatten die Politiker, die aus dem kleinbürgerlichen- und Arbeitermilieu stammten, aufgrund ihrer Herkunft dazu eine gewisse Distanz. Inzwischen ist ein elitäres Denkmuster einfach qua Herkunft in den Köpfen verankert. So lässt sich Übereinstimmung zwischen der politischen und wirtschaftlichen Elite leichter herstellen, als das vor 20 Jahren noch der Fall war.

derStandard.at: Können Politiker, die aus ökonomisch vorteilhaften Verhältnissen kommen, keine Empathie für Benachteiligte aufbringen?

Hartmann: Das können sie schon, aber das sind meist Ausnahmen. Bruno Kreisky ist aufgrund seiner Herkunft weit weg vom durchschnittlichen Wähler. Trotzdem kann man seine Politik als klassisch sozialdemokratisch bezeichnen. Umgekehrt Gerhard Schröder: Von seiner Herkunft her ist er das krasse Gegenbeispiel zu Kreisky. Schröders Politik war jedoch sehr wirtschaftsnah. Generell kann man dennoch sagen, dass aufgrund einer gemeinsamen sozialen Herkunft Probleme in der Regel gleich identifiziert und, was die Lösungsmöglichkeiten angeht, auch ähnlich betrachtet werden.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hat die Verbürgerlichung der Politik?

Hartmann: In Europa ist die Verbürgerlichung der Politik in Italien und in Deutschland am stärksten vorangeschritten. Das sind jene Länder, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich im letzten Jahrzehnt am schnellsten gewachsen ist. Das hat damit zu tun, dass sich die politische Elite der wirtschaftlichen sehr stark angenähert und sich von der Bevölkerung sehr stark entfernt hat.

derStandard.at: Bei Schröder haben die Wähler eine andere Politik bekommen, als sie sich vielleicht aufgrund seiner Herkunft und seiner Parteizugehörigkeit versprochen haben. Nun haben Sie in einem Gespräch mit Ö1 Parallelen zwischen Schröder und Faymann gezogen. Sehen Sie bei Faymann auch die Gefahr, dass er eine andere Politik macht, als er jetzt verspricht?

Hartmann: Es gibt zwei Übereinstimmungen zwischen Schröder und Faymann. Beide haben einen sozialen Aufstieg hinter sich und gleichzeitig haben sie eine große Nähe zur Wirtschaft und zu den Medien. Ich habe das Gefühl, dass Faymann sich genauso wie Schröder als Medienkanzler darstellen wird. Ob er in Österreich im Rahmen der Wirtschaftskrise auch ähnliche Maßnahmen durchsetzen wird wie Schröder in Deutschland, kann ich allerdings nicht sagen.


derStandard.at: Das bürgerliche Lager ist grundsätzlich christlich-sozial verwurzelt. Von Nächstenliebe ist in ihrer Politik aber kaum etwas zu spüren. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?

Hartmann: Seit zehn, zwanzig Jahren spielt diese Diskrepanz in der Politik eine äußerste untergeordnete Rolle. Ich glaube, die christlichen Werte werden nach außen hin für einen Teil der Wählerschaft immer wieder betont, für die praktische Politik spielen sie aber keine nennenswerte Rolle mehr. Außer es geht darum, festzustellen, dass die Türkei in Europa nichts zu suchen hat, weil sie den christlichen Wertekonsens nicht teilt.

derStandard.at: Werden wegen der Wirtschaftskrise wieder Entflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft geschehen?

Hartmann: Die Politik gibt sich derzeit öffentlich stark und durchsetzungsfähig, jedoch vor allem in Worten, weniger in Taten. Es wird vieles verkündet und gefordert, es ist jedoch unklar, ob das auch gesetzlich geregelt wird, also dauerhaft Bestand hat. Im Augenblick ist der politische Druck sehr hoch, etwas zu machen. Es wird auch bestimmt ein paar Regulierungen geben. Ob es zu grundlegenden Änderungen kommt, ist aber fraglich. Merkel und Co. haben jene Politik, die sie jetzt kritisieren, in den letzten Jahren schließlich selbst voran getrieben. Außerdem übt auch die Wirtschaft massiven Druck aus, damit die Politik der Deregulierung im Kern unangetastet bleibt. (Katrin Burgstaller/derStandard.at, 20. November 2008)