Buch-Cover: Kiepenheuer & Witsch

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Das große Geld mit der Gesundheit: Im Zwiespalt zwischen Ethik und Geschäft siegt meist das Geschäft, sagt Buchautor Hans Weiss.

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Zur Person
Hans Weiss (58) ist Psychologe und arbeitet seit den 70er-Jahren als Medizinjournalist. Seine erste Aufdeckergeschichte war das im "profil" veröffentlichte "Tagebuch eines Irrenwärters", das zu Reformen der Psychiatrie führte. Weiss hat bis heute fast 20 Bücher geschrieben. Bekannte Sachbuchtitel: "Bittere Pillen", "Schwarzbuch Markenfirmen".

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STANDARD: Ihr neues Buch ist eine Abrechnung mit Pharmaunternehmen, Ärzten und Behörden. Sie nennen Namen, Firmen und Medikamente. Erwarten Sie Klagen?

Weiss: Eigentlich nicht. Ich bin seit 27 Jahren Autor und habe viele Enthüllungsbücher geschrieben. In all dieser Zeit habe ich insgesamt 100 Klagen oder Klagsandrohungen erhalten. Bisher habe ich kein einziges Verfahren verloren. Ich habe von Beginn dieses Projektes mit meinem Anwalt zusammengearbeitet, insofern bin ich gelassen.

STANDARD: Wie lange haben Sie recherchiert?

Weiss: Drei Jahre, der aufwändigste Teil war eine halbjährige Ausbildung zum Pharmareferenten in Deutschland. Ich habe sehr viel Geld in dieses Buchprojekt investiert.

STANDARD: Sie haben undercover zum Teil als Pharmareferent recherchiert. Wäre es eigentlich auch ohne Tarnung möglich gewesen?

Weiss: Nein, denn ich wollte die Geschäftspraktiken von Pharmafirmen und ihr Verhältnis zu Ärzten aufdecken, das wäre ohne Tarnung nicht möglich gewesen. Das Bild, das die Pharmaindustrie der Öffentlichkeit vermittelt, ist reine Propaganda.

STANDARD: Wie können Sie das pauschal behaupten?

Weiss: Das kann ich, weil es die Protagonisten auf pharmainternen Veranstaltungen untereinander ja ganz offen selbst ansprechen. Auf einem Kongress in Barcelona gaben die Vertreter der Branche unumwunden zu, dass es kaum Innovationen gibt, dass es ausschließlich um den Geschäftserfolg geht und die meisten Medikamente sogenannte Me-too-Präparate, also Nachahmerprodukte, sind.

STANDARD: Jede Pharmafirma weist aber Forschungsbudgets aus.

Weiss: Klar tun sie das, meistens zwischen zehn und 25 Prozent des Umsatzes, aber es kontrolliert niemand. 2005 gab es einen Bericht der britischen Regierung, deren Untersuchungskomitee klar feststellt, dass zwischen Forschung und Marketing in dieser Branche die Grenzen fließend sind.

STANDARD: Sie machen der Pharmaindustrie deren marktwirtschaftliches Vorgehen zum Vorwurf?

Weiss: Ja, weil sie keine Konsumgüter herstellen, sondern Medikamente. Da geht es schnell um Leben und Tod. Medizinische Forschung bringt ja nicht immer positive Ergebnisse. Da gibt es Rückschläge. Je mehr Geld in ein Medikament investiert wurde, umso bitterer ist es, das wieder aufzugeben. Meine Erfahrung: Im Zwiespalt zwischen Ethik und Geschäft siegt im Zweifel immer das Geschäft.

STANDARD: Sind die notwendigen Medikamentenstudien denn nicht aussagekräftig?

Weiss: Das Problem ist, dass sie von den Firmen selbst durchgeführt werden. Sie kontrollieren den Prozess bis zur Zulassung selbst. Da gibt es viele Möglichkeiten für Manipulationen, die ausgenutzt werden.

STANDARD: Kontrollieren die Ethikkommissionen das nicht? Sie müssen ja jede Studien, die durchgeführt wird, immer bewilligen.

Weiss: Da gibt es industrienahe und weniger industrienahe Ethikkommissionen, haben meine Recherchen ergeben. Pharmafirmen wissen meist sehr genau, wo sie sich für welche Studie hinwenden müssen.

STANDARD: Dafür passieren vergleichsweise wenige Katastro- phen ...

Weiss: Vielleicht erfahren es wenige. Die Industrie setzt alles daran, solche Skandale unter den Tisch zu kehren. Ein relativ aktuelles Beispiel ist das Blutstillungsmittel Trasylol von Bayer, ein Bestseller. Schon in den 80er-Jahren gab es Hinweise, das Medikament könnte die Todesrate von Patienten erhöhen. Es blieb am Markt, wurde wahrscheinlich an fünf bis zehn Millionen Menschen angewendet und hat vermutlich 10.000 Menschen das Leben gekostet. Erst letztes Jahr wurde es vom Markt genommen. Bayer hat daran viele Milliarden verdient. Der eigentliche Skandal: Niemand hat Bayer zur Verantwortung gezogen. Ähnliche Skandale gab es mit dem Arthrosemittel Vioxx von Merck, letzte Woche musste das Abnehmmittel Acomplia von Sanofi-Aventis vom Markt. Von der Hormonersatztherapie für Frauen mit Wechselbeschwerden weiß man heute, dass sie für höhere Brustkrebsraten verantwortlich ist. In allen Fällen haben immer Ärzte Werbung dafür gemacht.

STANDARD: Sie verurteilen auch das Verhalten der Ärzte ganz massiv, listen nicht nur Namen deutscher Mediziner, sondern auch einiger österreichischer Ärzte mit sehr engen Kontakten zur Pharmaindustrie auf.

Weiss: Es gibt einfach zu viele, die sich kaufen lassen. Ein Arzt, der international wichtig ist und als Meinungsbildner gilt, kann durch Vorträge und Kongresse 200.000 bis 300.000 Dollar (ungefähr 158.000 bis 238.000 Euro, Anm.) pro Jahr dazuverdienen. Da gibt es pharmainterne Richtlinien, die ich herausgefunden habe. Vieles davon ist dann aber als Fortbildung getarnt - auch die Fort- und Weiterbildung der Ärzte liegt in der Medizin fast ausschließlich in der Hand der Pharmaindustrie.

STANDARD: Weil es auf den Universitäten kein Geld gibt und öffentlichen Budgets hierzulande ganz generell sehr, sehr knapp bemessen sind.

Weiss: Das stimmt, und letztlich ist es natürlich ein Versagen der Politik. Nur in Amerika gibt es in einem nennenswerten Ausmaß unabhängige, weil vom Staat finanzierte Forschung. Die EU macht nichts. Im Gegenteil: Die europäische Zulassungsbehörde EMEA ist nicht im Konsumentenschutz, sondern bei der Wirtschaft angesiedelt. Allein das sollte zu denken geben.

STANDARD: Wie ließe sich das System verändern?

Weiss: Indem man die Kommerzialisierung eindämmt; in den USA gibt es bereits dementsprechende Initiativen. Vor allem die Marketingmaschinerie der Pharmaindustrie, allem voran der Einsatz von Pharmareferenten, müsste reduziert werden.

STANDARD: Wird die Pharmaindustrie dann aufhören zu forschen? Damit drohen viele Unternehmen am Markt immer wieder.

Weiss: Nein, die wirklichen Innovationen kommen nicht aus den großen Konzernen, sondern von kleinen Biotech-Unternehmen. Sobald eine dieser Firmen dann ein vielversprechendes Medikament hat, werden sie gekauft. Zum Beispiel die kalifornische Firma Genentech, die Krebsmedikamente entwickelt hat und bald vollständig dem schweizerischen Konzern Roche gehören wird. So funktioniert die Branche. Dabei bin ich überzeugt, dass Innovation in kleineren Strukturen möglich ist. Ich habe nichts gegen Medikamente, wenn sie gut und sicher sind. (Karin Pollack/DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2008)