Bild nicht mehr verfügbar.

Der "anatolische Schwabe", ein Muslim als grüner Pionier.

Foto: AP/Miguel Villagran

Diesmal ist alles gut gegangen. Als Cem Özdemir am Wochenende zum neuen Parteichef der deutschen Grünen gekürt wird, ist ihm die Erleichterung anzusehen. Vor ein paar Wochen hat ihm die Basis noch einen sicheren Listenplatz für den Bundestag verweigert. Zum Parteichef aber wählt sie ihn mit für Grüne respektablen 79,2 Prozent. "Yes, we Cem", steht auf grünen Ansteckern.

Ein bisschen kann sich Özdemir nun wie Angela Merkel fühlen. Sie ist die erste Kanzlerin Deutschlands, er schreibt als erster muslimischer Parteichef mit türkischen Wurzeln in Deutschland Geschichte. Wobei es Özdemir mit dem Glauben nicht so hat. "Ich bin so muslimisch wie die meisten Taufscheinchristen christlich sind", sagt er.

Überhaupt möchte er jetzt, wo er als Parteichef ja das Große und Ganze im Blick haben muss, nicht dauernd auf seinen Migrationshintergrund festgelegt werden - wenngleich der 42-Jährige versteht, dass seine Karriere vielen Migranten in Deutschland Mut macht. Seine Eltern kamen aus der Türkei nach Baden-Württemberg. Dort, im beschaulichen Bad Urach, wurde Özdemir geboren. Den Ehrgeiz, mehr aus seinem Leben zu machen und nicht wie der Vater in der Fabrik Feuerlöscher zu erzeugen, hat er schon als Schüler.

Der "anatolische Schwabe", wie er sich selbst nennt, drängt aufs Gymnasium, wird Erzieher und hängt noch ein Studium (Sozialpädagogik) dran. Als er 1994 für die Grünen in den Bundestag einzieht und 1998 das prestigeträchtige Amt des innenpolitischen Sprechers bekommt, ist Özdemir längst Dauergast in TV-Talkshows. Der Jungpolitiker mit den schicken Anzügen posiert als Model und rutscht auf der Karriereleiter plötzlich ab. Wegen eines günstigen Privatkredits und privat genutzter Dienst-Bonus-Meilen muss er seine Ämter niederlegen.

Es folgen ruhigere Jahre im EU-Parlament. Jetzt ist er wieder auf der Berliner Bühne zurück. Dass er es dort nicht ganz einfach haben wird, weiß der Vater einer kleinen Tochter, der dem Realo-Flügel angehört. Schließlich haben auch andere Granden wie Ko-Chefin Claudia Roth, die Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn viel zu sagen. Spitzenkandidat für die Wahl 2009 ist Özdemir auch nicht.

Aber er hat genaue Vorstellungen, wie er neue Themen (Finanzen, Energie) angehen will: Die Grünen müssten prägnant klarmachen, was sie an der aktuellen Politik ablehnen. Da sie aber in Opposition sind, bräuchten sie nicht gleichzeitig komplexe Lösungen auf den Tisch zu legen. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2008)