Wer wird in der neuen Regierung was? Und:Steht die ÖVP eine Neuauflage der Koalition mit der SPÖ überhaupt durch? Das sind die Hauptfragen, auf die Zeitungen und Magazine nun schon Wochen die Antworten mit Namen und Fotos dem vergesslichen Publikum in die Straßenbahnen und U-Bahnen liefern. Die wichtigere Frage, was man sich unter einem „neuen Regieren" vorzustellen hätte, bleibt angesichts der internationalen Finanzkrise unbeantwortet. Krisenmanagement ist angesagt, eine mutige Gestaltung der politischen Zukunft des Landes nicht. Wäre ja auch zu viel verlangt.

Über die Vertagung einer kostensparenden Staatsreform haben die Medien ausführlich lamentiert. Offenbar steht das Wasser noch nicht bis zum Hals. Vom (manipulierten) Nulldefizit K.-H. Grassers bis zur jetzt verkündeten „maximalen Neuverschuldung von drei Prozent" türmen sich die Märchen der Spitzenpolitiker.

Lügen werden ohnehin nicht geahndet. Aber auch verkürzte Argumentationen nicht. Zum Beispiel jene, die ÖVP solle mit Strache und BZÖ gehen, um nicht „politisch zu sterben". Spätestens nach den Kärntner Wahlen im Frühjahr wird im nationalen Lager das Match um Haiders Erbe losgehen. Eine ÖVP-FPÖ-BZÖ-Regierung wäre gelähmt, weil permanent das Personal wechseln würde. Oder eine Minderheitsregierung der FPÖ, wie sie vom politisch aktiven Schriftsteller Robert Menasse verlangt wird. Auch keine Lösung, weil man sich zur Bewältigung der Finanzkrise keine Dauer-Verhandlungen mit Teilen des Nationalrats leisten kann. - Was könnte bei einer Neuauflage der SPÖ/ÖVP-Koalition „neu regieren" bedeuten?

1.) Die Neuordnung der Ministerien nach heutigen Bedingungen.
Erstes Beispiel: Ein Bildungsministerium, das vom Kindergarten bis zu den Unis reicht. Zweites Beispiel: Ein Forschungsministerium, das die Zersplitterung dieser Agenden beendet. Drittes Beispiel: Ein Arbeitsministerium, das die Integration der Ausländer mit einschließt. Die Integration im Polizeiressort ist letztlich widersinnig. Viertens: Ein Kunstministerium, das die Förderung neuer Kunst, die Museen, die staatlichen Bühnen (inklusive Opern), aber auch die Auslandskultur dirigiert.

2.) Bundesrat. Eine Verkleinerung und Kräftigung, wie vom Österreich-Konvent vorgeschlagen, bringt wenig. Abschaffung oder Totalreform lauten die Alternativen. Da die Reform-Vorstöße (z. B. nach Vorbild des US-Senats) verpuffen, ist der Verzicht auf den Bundesrat wohl das beste und billigste Vorgehen.

3.) Wahlrecht. Weg mit dem Verschiebebahnhof für Landespolitiker. Her mit einer Wahlrechtsreform des Nationalrates. Eine Kombination von Verhältnis-Wahlrecht und Einer-Wahlkreisen mindestens, damit diese Wahl nicht zu einer Kür mit einigen Role-Models verkommt. Hier könnte durchaus der Bundespräsident die Initiative ergreifen. Zumal Heinz Fischer darin Experte ist.

Dazu wird es nicht kommen. Radikale Änderungen der Finanzwirtschaft sind trotz der Riesenkrise nicht zu erwarten. Und bevor keine autoritäre Welle über uns zusammenschlägt, wird man auch die Strukturen der Demokratie nicht tiefgreifend verändern.
In Österreich flüchten wir lieber aus der Realität ins (Medien-)Theater. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2008)