Das Künstlerduo Michael Elmgreen & Ingar Dragset greift 2003 ein Zitat des Ökonomen Joseph A. Schumpeter auf.

 

Foto: Bonakdar Gallery, N.Y.

Reformistische Modelle, in denen es nur darum geht, "ein paar Details in den bestehenden kapitalistischen Strukturen zu ändern", haben in Oliver Resslers Projekt Alternative Ökonomien. Alternative Gesellschaften keinen Platz. Den österreichischen Künstler mit dem Fokus auf gesellschaftspolitische Themen wie Rassismus und Kapitalismus interessieren Konzepte, die "grundlegend andere Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenleben und gesellschaftlichen Strukturen anvisieren".

Als Ausstellung von fünf Videointerviews begann das Projekt 2003 in Ljubljana und wuchs bis zum Jahr 2007 und nach weiteren 20 Ausstellungsorten - darunter São Paulo, Taipeh und Tallinn - zu fünfzehn Beiträgen an. Diese sind nun als Buch erschienen, das Ideen für eine Kapitalismusdiskussion anbietet, auf die sich nur wenige einlassen: zu dünn das Eis, auf das man sich begibt, zu vorhersehbar die Kritik. "Alternativen", so Ressler, "werden in den Industrieländern seit 1989/91 nur dort breiter diskutiert, wo sie die bestehenden Machtverhältnisse in kapitalistisch-verwertungsorientierten Ökonomien und in den parlamentarisch-repräsentativen Demokratien nicht infrage stellen." Gedanken "spinnen", die bestehende Ordnungen durchaus durcheinanderwürfeln könnten, und alles hinterfragende Visionen entwickeln, ohne sich Grenzen des Machbaren zu setzen, das ist ohne Tadel meist nur in Räumen der Kunst, quasi den sozialgesellschaflichen Experimentierlabors, möglich. Ressler, der sich mehr als interessierten Leser denn als Sozialwissenschafter sieht, versammelt in seinem Lesebuch wertungsfrei und unkommentiert alternative Zukunftsmodelle von Ökonomen und Gesellschaftstheoretikern, deren ausführliche Biografien leider fehlen. Dem gegenüber stehen historische Modelle, die Motive des Scheiterns und innere Widersprüche erläutern, darunter etwa die Arbeiterkollektive der Spanischen Revolution. Ein weiterer Diskussionsbeitrag widmet sich den revolutionären Ansätze der Zapatisten in Chiapas/Mexiko.

Talentvernichtung

Viele der vorgestellten Visionen (u. a. von Takis Fotopoulos) fußen auf den Begriffen Gleichheit, Solidarität, Vielfalt und Selbstverwaltung, fordern wie bei "Parecon" (kurz für partizipative Ökonomie) Mitbestimmung nach Maßgabe der persönlichen Betroffenheit. Michael Albert zeichnet darin die Idee ausgewogener Arbeitsbündel, die die Hierarchie zwischen "Koordinatoren" und "Arbeitern" ablehnt und allen sowohl Verantwortung als auch Routinearbeit zuteilt. Kontraproduktiv? Nein, meint Albert, denn derzeit würden bei 80 Prozent der Menschen Fähigkeiten und Talente in der Arbeit vernichtet, "während einige Genies sich entfalten können".

Dass bessere Produktionsmittel automatisch zu Einkommensvorsprüngen führen, wird infrage gestellt: Bezahlt wird nach Zeit, Schwere und Ermüdung. Utopisch? Vermutlich. Als Impuls zum Nachdenken über Unausgewogenheiten aber legitim. Mit plakativen Formulierungen, die die Harvard Business School in einem Atemzug mit "den meisten Kriminellen" nennen, stellt sich Albert allerdings ein Bein: Was womöglich für einige Lacher im Publikum sorgt, disqualifiziert für jede seriöse Diskussion. Heinz Dieterich, der einst bei Adorno, Horkheimer und Habermas studierte, steuert einige interessante Gedanken zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts bei. (Privat-)Eigentum müsse nicht abgeschafft, ihm aber die Möglichkeit zur Ausbeutung genommen werden. Damit aus Eigentum kein direktes Einkommen mehr abgeleitet werden kann, müsse als einer der ersten Schritte die Akkumulationsfunktion des Kapitals kontrolliert werden.

(Anne Katrin Feßler, DER STANDARD Printausgabe, 15.11.2008)