Zwei Experten, eine Erkenntnis zur Krise: "Auch als Ökonom verstehe ich oft nicht einmal ansatzweise, worum es sich handelt."

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... und überraschten Gerald John mit einem gemeinsamen Plädoyer für altmodische Tugenden.

Standard: Danke fürs Kommen, ich kann Ihnen aber leider nur Mineralwasser anbieten.

Ikrath: Das ist den Zeiten angemessen. Auch bei den Investmentbanken wird kein Champagner mehr kredenzt.

Bruckmayr: Wirtshäuser klagen schon, dass viel weniger Weihnachtsfeiern gebucht werden.

Ikrath: Und in London und New York stehen jene Luxus-Restaurantketten leer, wo die Investmentbanker gespeist haben.

Standard: Was hat Sie die Krise bisher persönlich gekostet?

Bruckmayr: Finanziell gar nichts, weil ich auf meinem Low Level nichts an der Börse investiert habe. Ideell ist mein Glaube an die Selbstregulierung der Märkte, der bis zu einem gewissen Maß doch existiert hat, aber erschüttert.

Ikrath: Ich war nie Spekulant oder Gambler, habe einen Teil meiner Altersvorsorge aber in Aktien investiert - und nun einen sechsstelligen Betrag verloren. Allerdings ist das ein Buchwert. Da ich auf das Geld momentan nicht angewiesen bin, kann ich hoffen, dass die Kurse wieder steigen. Im Augenblick ist es trotzdem deprimierend, am besten, man schaut gar nicht nach.

Standard: Hat nicht gerade Ihre Partei, die ÖVP, für die tollen Pensionen geworben, die der Kapitalmarkt abwerfe, Herr Ikrath?

Ikrath: Das Problem ist, dass es keine Alternative gibt. Das staatliche Pensionssystem wird wegen der demografischen Entwicklung nicht zur Gänze erhalten werden können.

Bruckmayr: Auch ich vertraue nicht zu 100 Prozent auf den Staat, halte mich aber an den Rat eines Professors der Harvard Business School: "Als Privater können Sie den Markt nicht schlagen. Ich empfehle Ihnen ein gut verzinstes Kapitalsparbuch."

Standard: Durchschauen denn Sie die komplizierten Anlagemodelle, die Derivate, mit denen Zocker aus steigenden oder fallenden Aktienkursen Profit schlagen wollen?

Bruckmayr: Nein. Auch als Ökonom verstehe ich oft nicht einmal ansatzweise, worum es sich handelt.

Ikrath: Das geht mir mit gewissen Derivaten genauso. Das Problem ist nur: Auch die Spitzenmanager der Banken kommen vielfach nicht mehr mit. Von den Anlegern ganz zu schweigen.

Bruckmayr: Dabei geht es um riesige Geldmengen, die ein ganzes System zum Torkeln bringen können.

Standard: Dennoch wurde man schon fast zum Dodel abgestempelt, wenn man keine Aktien besaß.

Ikrath: Schlimmer noch. Auch wer, so wie ich, gewöhnliche Aktien besaß, galt als Hinterwäldler. Nicht nur einmal wurde ich von meinen Kollegen in der Bank belächelt.

Bruckmayr: Es wurde ein Hype kreiert. Diese verschärfte Form der Werbung beinhaltet stets auch, gezielt Unwahrheiten zu verbreiten.

Ikrath: Aufgebaut hat das System auf der menschlichen Eigenschaft der Gier, gepaart mit einer ordentlichen Portion Hochmut. Das antike Prinzip, zu überlegen, was am Ende des Tages ist, war ausgeschaltet. Die Unternehmen setzten auf kurzfristige Maximierung, wichtig waren die Quartalsergebnisse. Mich erinnert das an die Achtziger, als die ersten Wall-Street-Haie wie Michael Milken Furore machten. Die Studenten in Harvard skandierten damals: "Gier ist gut, Gier ist gut!" Die Maxime lautet "anything goes" - solange man Geld macht.

Bruckmayr: Man muss heute nur Zeitschriften wie das von Red Bull gedruckte Red Bulletin durchblättern, wo es ausschließlich um Spitzenleistungen individueller Champions geht. Je mehr Erfolg, desto höher der Stellenwert in der Gesellschaft, die offensichtlich meint, daraus einen Stellenwert für sich selbst extrahieren zu können. Für mich besteht die Qualität einer Gesellschaft aber aus so altmodischen Ideen wie Solidarität, Mitgefühl, Gnade, Sorge, Trost.

Ikrath: So ist es. Wir müssen wieder mehr die altmodischen, spießigen, faden Tugenden pflegen.

Standard: Beim Stichwort Red Bull fällt mir Karl-Heinz Grasser ein, den die ÖVP zum Finanzminister gemacht hat. Verkörpert er nicht "anything goes" in Reinkultur?

Ikrath: Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich mit Grasser immer wieder Probleme hatte. Ich halte ihn für einen exzellenten Selbstdarsteller, aber bei Gott nicht für den besten Finanzminister aller Zeiten.

Bruckmayr: Sehr verärgert hat mich auch die Wortmeldung, dass angesichts der Krise die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose verschärft werden müssten.

Standard: Das war der ÖVP-Abgeordnete Karlheinz Kopf.

Ikrath: Das glaube ich nicht! Aber wer auch immer so was sagt: Das liegt für mich an der Grenze zum Zynismus.

Standard: Ist nicht Ihre ganze Partei der neoliberalen Versuchung erlegen, als sie unreflektiert für mehr Privat, weniger Staat trommelte?

Ikrath: Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Ich bin überzeugt, dass Österreich massiven Nachhol- bedarf an Marktwirtschaft hatte. Und der Beweis, dass der Staat der bessere Unternehmer ist, ist durch diese Krise nicht erbracht. Man muss auch unterscheiden: In Kontinentaleuropa hatten wir immer das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Der Akzent hat sich im letzten Jahrzehnt sicher Richtung Markt verschoben - aber Extreme wie in den USA gab es nie. Das hängt auch mit der jahrhundertealten katholischen Tradition zusammen, die im Gegensatz zum Cal- vinismus die Liebe von Gott nicht am wirtschaftlichen Erfolg misst.

Bruckmayr: Natürlich muss man den neoliberalen Kurs überdenken. Aber bevor jetzt wieder ein neuer Antiamerikanismus einkehrt, möchte ich festhalten, dass Europa vom Boom in den USA, der auf billigen Krediten aufgebaut hat, selbst lange profitiert hat.

Standard: Nun - in der Not - soll plötzlich weltweit der vielverteufelte Staat einspringen. Müsste die Milliardenhilfe für Banken nicht an viel strengere Bedingungen, bis hin zu niedrigeren Managergehältern, gekoppelt sein?

Bruckmayr: Das berührt mich als Bürger nicht so sehr, weil die Gehälter in Österreich nicht so geistesgestört hoch sind wie anderswo. Der Staat sind wir alle, auch bei der Bankenhilfe geht es um Solidarität. Klarerweise müssen sie aber auch etwas zurückgeben: Preiswertes Geld für die Wirtschaft, und zwar schnell und ohne Mätzchen.

Ikrath: Das Geld wird ja nicht verschenkt. Die Banken sollen ord-entlich Zinsen zahlen, dann wird das ein Geschäft für den Fiskus. Wenn der Staat später die dafür erworbenen Anteile verkauft, könnte er noch einmal ein Geschäft machen.

Standard: Wie schlimm wird die Krise noch werden?

Bruckmayr: Vieles hängt davon ab, wie sich die Situation in Osteuropa, wo Österreich viel investiert hat, entwickelt. Ich fürchte, dass wir die Krise die nächsten 20 Jahre spüren werden. Auf ein stetiges Wirtschaftswachstum dürfen wir nicht hoffen, es wird starke Schwankungen geben - wovon erst recht wieder die Spekulanten und Trendfollower profitieren.

Ikrath: Ja, es gibt schon wieder Leute, die an der Krise gut verdienen. Zum Glück sind die Staaten heute aber nicht nur wohlhabender als während der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre, sie verhalten sich auch anders. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, hin zur platonischen Tugend der Bescheidenheit. Die Banken müssen sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, im Interesse der Gesellschaft Waren und Dienstleistungen zu finanzieren. Und nicht darauf, die Gier der Investoren nach Gewinnen zu befriedigen.

Bruckmayr: Wir haben die Talsohle wohl noch nicht erreicht, aber auch ich rechne nicht mit solchen Dimensionen wie in den Dreißigerjahren. Allerdings: Optimismus gehört zur Befindlichkeit des Artisten. (DER STANDARD Printausgabe, 15./16. November 2008)