Bild nicht mehr verfügbar.

Neueste Nachrichten von einem zentralen Schauplatz des Kursgemetzels: "Vielleicht war unsere Gier doch etwas zu groß."

Foto: AP

Bild nicht mehr verfügbar.

Worst-Case-Szenario: Sollte dieses Vertrauen in den Staat enttäuscht werden, benötigen wir nichts weniger als einen neuen Glauben, dem wir vertrauen können.

Foto: AP/Michael Probst

Wo stehen wir heute? Wenn etwas so vielschichtig und undurchsichtig wie die Finanzkrise und die mit ihr einhergehenden Veränderungen im Gefüge ist, lässt sich mit bildlicher Sprache vielleicht mehr Klarheit schaffen als mit Kennzahlen und Kursanalysen, Anschuldigungen und Absichtserklärungen, Vertrauensbeschwörungen und Verzichtsankündigungen.

Im Alltag sind wir es gewohnt, dem Kapital wertende Eigenschaften zuzuschreiben und es mit Vergleichen zu erklären. Dies zeigt, wie wenig wir es im Grunde verstehen, muss es doch mit Hilfswörtern und Sinnbildern eingefärbt werden. "Frisches Kapital", "weißes" oder "schwarzes Geld", "stupid money" oder Geld, an dem "Blut klebt", sind Erfindungen, die über die bloße Sachlichkeit einer Zahl hinwegtäuschen und dem Geld einen Geist oder einen Charakter einzuhauchen bemüht sind - um es menschlich und damit vertraut und einschätzbar erscheinen zu lassen. Dabei ist nach Georg Simmel (Philosophie des Geldes, 1900) die einzige und einzigartige Qualität des Geldes seine Quantität.

Im gegenwärtigen "Vertrauenscrash" (Jürgen Werner) erleben wir die brutale Sachlichkeit der Zahlen, der Quantität. Die argwöhnischen Gesichter die wir dazu machen, sind hingegen Ausdruck unseres Gefühls, also reine Qualität. Weshalb sind wir so unruhig? Das Geld selbst als Medium eines Kreislaufs steht zur Diskussion. Denn, bildlich gesprochen, was nützen die gesündesten Organe, wenn sie nicht vom Blut durchströmt werden? Was kann man mit einem Sportwagen anfangen, wenn man kein Benzin hat?

Vertrauenscrash

Geld, das sich nicht bewegt, das nicht arbeitet, Kapital, das brachliegt und nicht zur eigenen Bedeutungsvermehrung in Bewegung ist, nennt der Ökonom Hernando de Soto "totes Kapital" . Von diesem, so schreibt er, ruhen weltweit über 9,3 Billionen Dollar unter den Ma-tratzen und in den Sparstrümpfen der Armen in der Dritten Welt. Es ist still, unproduktiv und verliert gar an Wert. Dass der Kapitalismus im Westen triumphiert, wie es de Soto behauptet, ist eine kühne Verheißung, deren Erwartungswert in den letzten Wochen und Monaten schmerzlich gesunken ist. So ist es an der Zeit, dem Kapital eine neue Eigenschaft zuzuschreiben, die den Ausnahmezustand charakterisiert, in dem sich zu befinden möglicherweise die unvermeidbare Überschrift unserer Zeit sein könnte.

"Frisch" ist das Kapital nicht mehr, und das von den Notenbanken und Regierungen in den globalen Geldkreislauf abkommandierte Geld hat nichts von der ansteckenden Lebensfreude, die ein anständig erwirtschafteter Jahresüberschuss versprüht. In den Bilanzen der Kreditinstitute und Banken lagert ein ganz besonderes Kapital, für das sich sogenannte Geierfonds mit ordentlich zweistelligen Prozent Abschlägen interessieren oder ebenjene "Bad Bank" , als welche die Staaten bezeichnet werden, die den Banken zum Teil gegen Überlassung von Anteilen die faulen Engagements abnehmen, bevor sich die Banken - gleich frischen Äpfeln in der Obstschale von der Verwesung und Fäulnis der anderen - anstecken lassen.

Bad dead money

Moder und Verderbnis liegen - dem Sinnbild folgend - in der Luft und verbreiten eine Ansteckungsgefahr, die durch den gesellschaftlichen Lebensstrom selbst geistert, sprich den Geldkreislauf zum Erliegen bringen könnte. Dies hätte offenbar derart fatale Konsequenzen, dass Meinungen und Grundsätze so schnell über Bord fliegen, dass man das Aufklatschen erst hört, wenn schon die nächsten Prinzipien und Überzeugungen über die Reling gegangen sind.

Es geht nicht um totes Kapital, das buchhalterisch von den Finanzunternehmen schon längst abgeschrieben werden müsste und somit mausetot sein sollte. Durch die Garantien der öffentlichen Hand wird das "bad dead money" am Leben erhalten. Es ist irgendwie dazwischen. Nicht lebendig und nicht tot. Untot.

Untotes Kapital verfolgt uns und versucht, das produktive Kapital in seinen Sog zu ziehen. Untotes Kapital ist eine Art Zombiekapital. Wie zum Leben erweckte Tote. Totengeister, die keine Ruhe finden. Dieses Zombiekapital lagert wie Blei in den Bilanzen. Wir wissen heute, dass es einem Liquiditätsüberschuss geschuldet ist, der im Zuge des 11.September 2001 seinen Anfang nahm. Wir wissen, dass zweifelhafte Kredite, insbesondere aus dem Immobilienmarkt, gebündelt und in Finanzprodukte verpackt wurden, die die Risiko- und Qualitätskontrolle der Ratings ohne weiteres passierten. Vielleicht war das Kleingedruckte doch etwas zu klein, unsere Gier doch etwas zu groß, und die innere Stimme war benebelt von der trügerischen Sicherheit, dass die anderen es ja auch so machen.

Mit dieser - wie man allerdings erst heute weiß - Fehleinschätzung der "Regenmacher" und "Masters of the Universe" , wie die Investmentbanker damals genannt wurden, begann das in den Finanzprodukten gebundene Kapital faulig und giftig zu werden. Dieser Sondermüll ist derart toxisch, dass er sich wie eine Seuche in das auf Vertrauen basierte Versprechen der Wirtschaft und ihrer Geldwährung ausbreitet.

Wir müssen an das Geld glauben, um es Geld sein zu lassen. Goldmünzen sind auch ohne ihre Prägung als Bewertungsmittel, Tauschmedium und Wertaufbewahrungsmittel geeignet. Der Goldpreis berichtet uns dies täglich. Geld aus Papier oder in Form von Zahlenkolonnen im Computer ist ein Versprechen der Gemeinschaft an ihre Mitglieder, und vielleicht ist es kein Zufall, dass auf einer Reihe von Währungen eine religiöse Autorität angerufen wird. "In God we trust" , wie auf jedem Dollar steht. Diese Beschwörung der ersten Person Plural legitimiert von ganz oben, dass dieses Geld schon Geld sein wird. Was aber, wenn nun ein vom Glauben Abgefallener zur Bank geht, weil für ihn nur Bares Wahres ist? Der gegenwärtige Vertrauenscrash lässt uns zucken, und manche fragen laut und offen, ob unser Geld noch das wert ist, was wir denken, dass es wert war. Nichts weniger als eine Glaubenskrise ist die Vertrauenskrise in der Finanzwirtschaft.

Horror Vacui

Der Sündenfall dieser Vertreibung aus dem Vertrauen, welches in paradiesischer Effizienz Kontrollinstanzen und teure Sanktionsmechanismen überflüssig macht und Erwartbarkeiten in die Zukunft hinein ermöglicht, ist die höchst riskante Vernachlässigung von Eigentumsrechten, der Grundbedingung marktwirtschaftlicher Transaktionen.

Verwiesen die Regierungen vor wenigen Wochen noch auf die Zuständigkeit des Finanzsektors für die Finanzkrise und ihr Vertrauen darauf, dass der Finanzsektor über eigene Heilungskräfte verfügt, die Krise zu meistern, so hat sich das Blatt gewandt, und der Staat selbst hält seine Hand schützend über die Finanzinstitutionen, ja nimmt eigenes, in Wahrheit von der Zukunft geliehenes Geld in die Hand, um den Finanzsektor zu stützen, zu halten, zu heilen - sprich zu sanieren.

Das Vakuum des Misstrauens, jener Horror Vacui, der sich mit jedem Zweifler weiter in die auf Vertrauen basierende Gemeinschaft hineinfrisst, musste gestoppt werden. Die Armee der Untoten marschierte oder marschiert direkt auf das Leben, seine Prosperität und bequeme Leichtigkeit zu. Der Garant für die fortwährende Funktionalität des Finanzsektors musste ausgetauscht werden.

Gedeckelte Wertschöpfung

Der neue Garant ist der Staat, denn das Vertrauen in die Finanzbranche ist teilweise durch die Fakten der Bankenverstaatlichung verschwunden, und nun steht der Staat als Garant des Vertrauens unter Beobachtung, ob er das immense Vertrauen, das seine Verantwortungsübernahme kostet, wert ist. Sollte - als Worst-Case-Szenario - dieses Vertrauen in den Staat enttäuscht werden, benötigen wir möglicherweise nichts weniger als einen neuen Glauben, dem wir vertrauen können und dessen Autoritätsbezug anders als jener der Banken und des Staates nicht mit vernünftigem Denken angezweifelt werden kann. Nicht mehr "In God we trust" , sondern "In God we believe".

Vielleicht entstammt dieser dringlichsten Nachfrage nach Vertrauen und Sinnstiftung die steigende Nachfrage nach Islamic Banking, also schariakonforme Regeln der ethisch-religiös gedeckelten Wertschöpfung, auch bei den westlichen Banken. Doch das ist sehr unwahrscheinliche Zukunftsmusik, und die Gegenwart hat dringlichere Erfordernisse: Es gilt in einem heroischen Akt, das Zombie-kapital endgültig um die Ecke zu bringen. Das wird gewiss teuer und das Zombiekapital wird sich zu wehren wissen, aber den hohen Preis wird es wert sein.

Im besten Fall - so das Kalkül der staatlichen Garantien - war das Kapital gar nicht untot, sondern nur etwas verschnupft und turnt bald wieder frisch, fromm, fröhlich und frei für uns durch die Weltgeschichte. (DER STANDARD/Printausgabe/Album, 15./16.11.2008)