Wien - Knapp zwei Drittel - exakt 62 Prozent - der von den heimischen Strafgerichten Abgeurteilten werden kein zweites Mal verurteilt. Selbst unter den Vorbestraften bleibt fast jeder Zweite "wiederverurteilungsfrei". Diese und weitere Ergebnisse haben die Wiener Kriminalsoziologen Arno Pilgram und Veronika Hofinger am Freitag bei einer Fachtagung im Justizministerium präsentiert. Erstmals seit 1988 wurde erhoben, wie oft rechtskräftig verurteilte Straftäter erneut vor Gericht bestraft werden.

Justizministerin Maria Berger am Freitag die Relevanz einer modernen Kriminaljustizstatistik als Grundlage für eine "rationale Kriminalpolitik" betont. "Gerade die Kriminalpolitik ist ein beliebtes Feld für populistische Forderungen", gab Berger zu bedenken.

Justizministerin: Allgemeine Justizerledigungsstatistik geplant

Die Notwendigkeit, Straftaten statistisch zu erfassen und damit in weiterer Folge die Abbildung justizieller Tätigkeiten zu verbessern, sei schon seit längerem offenkundig. Berger verwies auf das noch aktuelle Regierungsprogramm, das die Einführung von Rückfallstatistiken und eine staatsanwaltschaftliche Einstellungs- und Erledigungsstatistik vorsehe. Zukünftig schwebt Berger eine allgemeine Justizerledigungsstatistik vor, in der alle staatlichen Reaktionen auf strafrechtliches Verhalten - das heißt von der Anzeigenerstattung bis zum rechtskräftigen Urteil und den im Strafvollzug getroffenen Entscheidungen - erfasst werden.

Die neue Wiederverurteilungsstatistik bezieht sich auf sämtliche im Jahr 2003 rechtskräftig abgeurteilten Personen sowie jene, die im selben Jahr aus unbedingten Freiheitsstrafen entlassen wurden. In weiterer Folge beobachteten die Wissenschaftler, wie viele Männer und Frauen bis zum 31. Dezember 2007 neuerlich strafrechtlich schuldig gesprochen wurden.

"Ausstieg aus der Karriere"

Ergebnisse: Von jenen Personen, die erstmals verurteilt worden waren, blieben im Beobachtungszeitraum drei Viertel "wiederverurteilungsfrei". "Die Justizklientel ist nicht geprägt von Wiederholungstätern", sagen die Forscher. Fast jeder zweite Vorbestrafte schaffe "den Ausstieg aus der Karriere".

Hohe Rückfallquote bei Suchtmitteldelikten

Von den Wiederverurteilten wurde im Beobachtungszeitraum die Hälfte nur einmal neuerlich schuldig gesprochen, immerhin ein Fünftel allerdings öfter als viermal. Bei Suchtmittel- und Vermögensdelikten war die Rückfallquote am Größten. Das Gegenteil davon zeigte sich bei Sexualstraftätern: Ein Viertel dieser Männer wurde wieder verurteilt, allerdings nur vier Prozent innerhalb derselben Deliktsgruppe.

Je geringer die Strafe ausfällt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, neuerlich vor Gericht zu landen - dies lässt sich ebenfalls aus der Statistik ablesen. 74 Prozent der zu einer bedingten Geldstrafe Verurteilten wurden überhaupt nicht mehr verurteilt, während 35 Prozent der zu unbedingten Haftstrafen neuerlich eine "Unbedingte" ausfassten.

Bedingte Entlassung laut Studie sinnvoll

Die Wiederverurteilungsstatistik belegt deutlich die Sinnhaftigkeit von bedingten Entlassungen: Während 67 Prozent der Personen, die zum vorgesehenen Zeitpunkt aus der Strafhaft entlassen wurden, wieder verurteilt wurden, waren es bei vorzeitig auf Bewährung Entlassenen nur 54 Prozent.

"Obwohl selektiver verurteilt und milder gestraft wird, zeigen sich im Westen keine höheren Wiederverurteilungsraten als im Südosten", betonen die Studienautoren. Mit 34 Prozent wies der Sprengel des Oberlandesgerichts Wien die geringste Wiederverurteilungsrate überhaupt aus. "Dies kann zum Teil Resultat einer wenig selektiven und dennoch strengeren Urteilspraxis sein, aber auch an einer anderen Zusammensetzung der Verurteiltenpopulation - etwa am höheren Ausländeranteil - liegen", lautet dafür die Erklärung von Pilgram und Hofinger. (APA)