Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war neulich. Da schickte N. ein Mail. Weil, meinte sie, es da etwas gäbe, was ihr in den letzten Monaten verstärkt aufgefallen sei. Und, schreibt N., sie nicht sicher sei, ob die von ihr festgestellte Häufung nun auf einer tatsächlichen Veränderung des Autofahrerverhaltens beruhe - oder ob ihr geschärftes Bewusstsein ihr da einen Streich spiele. Weil sie eben mehr auf die Sache achte.

In jedem Fall, meint N., sei es so, dass sie glaube sich daran zu erinnern, in der Fahrschule gelernt zu haben, wann und wie die Warnblinkanlage eines Fahrzeuges eingesetzt werden dürfe: Bei Unfällen und Defekten zur Absicherung von Unfallstellen und zur Warnung anderer Verkehrsteilnehmer, dass das eigene Fahrzeug verkehrsuntüchtig sei. So ungefähr.

Stauwarnung

Und, schreibt N., sie glaube auch vom Fahrlehrer eingebläut bekommen zu haben, auf die mögliche (damals noch mündliche) Prüfungsfrage, ob man auf der Autobahn den Hintermann vor einem Stau mittels Warnblinken warnen dürfe, tunlichst mit „Nein" zu antworten - aber sich im Alltag dann doch bitte genau nicht so zu verhalten. Weil, habe der Fahrlehrer gesagt, man Autofahren ja nicht in der Fahrschule, sondern erst danach, im Alltag, lerne.

Eines, schreibt N., habe sie aber ganz bestimmt nicht in der Fahrschule mitgegeben bekommen: Dass man durch das Einschalten der Warnblinkanlage nämlich die StVO außer Kraft setzen könne. Und zwar jederzeit und überall. Einfach per Knopfdruck.

Pannenstreifenfahrer

Wann ihr das Umsichgreifen des autonomen Warnblinkens das erste Mal wirklich aufgefallen sei, schreibt N., könne sie nicht mehr so genau sagen. Aber das erste Mal geärgert habe sie sich, als sie vor einem halben Jahr auf der Tangente im Stau gesteckt sei - und neben ihr der Pannenstreifen zur Fahrbahn umfunktioniert wurde: Ein Fahrzeug nach dem anderen sei mit einem Affentempo vorbeigebolzt. Und irgendwann sei ihr aufgefallen, dass praktisch jeder Pannenstreifenraser die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte.

Seit damals, schreibt N., habe sie so etwas wie einen Warnblinker-Scanblick entwickelt. Und es vergehe kaum ein Tag, an dem sie da nicht interessante Blink-Anwendungen entdecke. Wobei N. das hupkonzertbegleitende Hochzeitskonvoiblinken dezidiert nicht als Sünde in ihrer Negativliste aufgeführt wissen will.

Zweite-Spur-Blinker

Viel mehr, schreibt N., gehe es ihr um blinkende Zweite-Spur-Parker. Nicht jene, die rasch einmal die Oma im Rollstuhl vor dem Haus ablüden. Sondern um die, die davon ausgingen, dass ihr Tschick-Einkauf in der Trafik so wichtig sei, dass alle anderen eben gefälligst ausweichen oder warten sollen. Besonders fein, schreibt N., habe sie jenen Zweitspur-Warnblinkparker gefunden, der sie einmal zugeparkt habe - und dann, als sie bereits mit den Beamten des zu Hilfe gerufenen Streifenwagens sprach, aus dem benachbarten Kaffee gestürzt sei und sich fürchterlich aufgeregt habe: Er habe nun einmal eine kurze Mittagspause - und statt die Polizei zu rufen, hätte N. doch ins Lokal gehen können. Oder hupen: Das Warnblinken, so der Mann, zeige nämlich an, dass ein Fahrer ohnedies in der Nähe des Fahrzeuges sei. Die Polizisten, so N. in ihrem Mail, hätten das anders gesehen. Und sie, schreibt N., habe ihre Anzeige nicht zurückgezogen.

Parkraumumwidmung per Warnblinken, schreibt N., werde aber generell immer beliebter. In Einfahrten oder Bushaltestellen genauso wie im Kreuzungsbereich oder auf Zebrastreifen: Anhalten, Pannenknopf drücken, Auto absperren und weggehen, schreibt N., sei Usus. Und das Blinken, so N., sei also die österreichische Version eines mediterranen Schulterzuckens: Man solle sich doch nicht so anstellen, solle es sagen. So schlimm, sei es doch nicht. Und mit einem bisserl gutem Willen käme man ja sogar mit Kinderwägen oder Rollstühlen an derart abgestellten Autos vorbei. Und wer aus einer blinkend zugeparkten Ausfahrt hinaus müsse, weil er es eilig habe, solle lieber bedenken, dass der Stau drei Ecken weiter ihn mindestens genauso viel Zeit kosten hätte können.

Ladezone Gehsteig

Sie sei, schreibt N., bisher der Meinung gewesen, dass der Ruf nach Strafen wenig nutze. Doch mittlerweile begänne sie umzudenken. Den Ausschlag dafür hätte ein Lieferant gemacht, der seit ein paar Wochen einen Laden neben ihrem Haus beliefere. Der Mann, sagt N. stelle sein Fahrzeug mittlerweile sogar dann auf dem ziemlich schmalen Gehsteig vor dem Laden ab, wenn ringsum Parkplätze frei sind. Er liefere, schalte den Blinker ein - und gehe dann ins nächste Lokal frühstücken.

Einmal schreibt N., habe sie den Fahrer gebeten, den Gehsteig frei zu geben - und habe zur Antwort ein obszönes Angebot bekommen. Daraufhin habe sie den Ladenbesitzer aufgefordert, seinen Lieferanten vom Gehsteig auf die Straße zu schicken. Doch der habe gesagt, das gehe weder N. noch ihn etwas an - und im Übrigen hätten es Gewerbetreibende nicht leicht. Da müsse man schon tolerant sein.

Zuletzt, schreibt N., habe sie dann den Cafétier gebeten, seinen Gast zu bitten, doch umzuparken. Ebenfalls erfolglos: Das sei eben heute so üblich, habe er ihr, N., gesagt - und das sei gut so. Und wenn N. Anzeige erstatte, würde er dem Fahrer sagen, bei welchem Wagen es sich lohne, die Reifen aufzustechen. Weil er dann einen Kunden verlöre. Und es darüber hinaus eine Sauerei wäre, wenn man Autofahrer auch noch wegen solchen Dingen piesacken würde. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 13.November 2008)