Häuser am Fuße eines Hügels auf dem übermächtig eine Burg thront, daneben ein kleiner See, der sich inmitten einer idyllischen Waldlandschaft erstreckt, das Rathaus ist mit Blumen geschmückt. Güssing ist ein beschaulicher 4.000 Seelen Ort im Südburgenland. Wer würde hier das Zentrum Österreichs in Sachen erneuerbarer Energie vermuten?


Vor zwanzig Jahren war die Region Güssing noch eine der ärmsten des Landes. Drei Viertel aller Einwohner pendelten täglich zur Arbeit nach Wien oder Graz, es gab weder einen Autobahnanschluss, noch einen an das Eisenbahnnetz. Dazu kam eine hohe Kapitalabwanderung durch die vielen Energiezukäufe (Öl, Strom und Kraftstoffe). Güssing war eine sterbende Gemeinde. Doch als der eiserne Vorhang gefallen war, der auch Grenzstädte in Österreich von wirtschaftlicher Entwicklung praktisch abgeschnitten hatte, fiel 1990 im Gemeinderat Güssing ein zukunftsweisender Entschluss. Ab nun das ehrgeizige Ziel: Der 100 prozentige Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung. Zuerst in der Stadt, dann im ganzen Bezirk.

An der Überzeugung aller Güssinger, vor allem der des Bürgermeisters Peter Vadasz lag es, dass die Energiekosten für die Gebäude im Gemeindezentrum halbiert und viele Politiker überzeugt werden konnten. Weiters wurden zahlreiche Demonstrationsanlagen gebaut, unter anderem das Biomasse Kraftwerk, das heute noch zu den drei größten Österreichs zählt. Somit konnte Güssing seine natürliche Ressourcen, z.B. 45% Waldanteil, endlich gewinnbringend nutzen. Mit einem von der TU Wien entwickelten Verfahren, erzeugt das Biomasse Kraftwerk heute aus 2300kg Holz pro Stunde, 2000kWh Strom und 4500kWh Fernwärme, und erreicht einen erstaunlichen Wirkungsgrad von 85%.

Auch große Firmen beteiligen sich auf Grund der vielen Möglichkeiten und exzellenten Wirkungsgrade, an der Entwicklung neuer Energiekonzepte. Vertreten sind unter anderem VW, Daimler Chrysler und BP. Ziel der Forschung ist es verschiedene Energieerzeugungsverfahren zu optimieren, und so genannte Energiezentralen für den regionalen Bedarf zu entwickeln, die aus biogenen Rohstoffen Energie erzeugen sollen. Doch nicht nur um Forschung zu betreiben kommen immer mehr Firmen nach Güssing. Seit den neunziger Jahren haben sich 70 neue Betriebe angesiedelt und rund 1100 Arbeitsplätze mitgebracht. Eine ideale Holzresteverwertung, tolle Strompreise, natürlich die führende Position in Sachen Umweltforschung und ein cleveres Betriebsansiedlungsprogramm machten Güssing zum Zentrum auf den Gebieten Parkettherstellung, Laubholztrocknung und Umwelttechnologien.


In der Europastraße 1 befindet sich das Zentrum der Koordination des "Güssinger Wunders", das Europäische Zentrum für Erneuerbare Energie, kurz EEE. Hier managen Ing. Reinhard Koch und seine Mitarbeiter seit 1996 sowohl die 30 Demonstrationsanlagen als auch die Versorgung der 400-1000 Öko-Touristen die wöchentlich nach Güssing kommen. Außerdem gehört neben dem Tourismus, den Forschungsprojekten, Dienstleistungen, und Demonstrationsanlagen auch die Weiterbildung zu den fünf Hauptaufgaben des EEE. Gerade bei einem so generationsübergreifenden Thema wie Umweltschutz und Forschung nach neuen Umwelttechnologien ist die Bewusstseinsbildung und die Weitergabe einer Ideologie sehr wichtig, und so gibt es, neben den Seminaren und Veranstaltungen im EEE, noch eine weitere bildende Besonderheit in Güssing. Die Solarschule.

"Wir versuchen unseren Schülern das Bewusstsein für einen schonenden Umgang mit den vorhandenen Energie- und Umweltressourcen zu vermitteln und sie zu lehren, dass es auch nach ihnen noch Generationen geben wird, denen sie verpflichtet sind.", so Ing. Franz Flamisch, Direktor des BORG Güssing: „Dies fällt angesichts des sorglosen und profitorientierten Vorgehens der Industriestaaten nicht leicht." Trotzdem ist das Leitbild dieser Schule ihr Bildungsangebot einer Welt im Wandel und den regionalen Bedürfnissen anzupassen. Das Gymnasium Güssing bietet die einzigartige Möglichkeit neben der Matura auch eine Lehre zum Solar-Installateur abzuschließen, um der Region, mit ihrer wachsenden Produktion an Solarkollektoren, auch zukünftig kompetente Arbeitskräfte zu bieten.

So werden die Grundsteine dafür gelegt, das Projekt Güssing zukünftig weiter auszubauen. Bis 2010 soll das Modell auf den ganzen Bezirk ausgeweitet werden. Um dies zu erreichen, wurde eine Energiebedarfsanalyse der Region auf Gemeindebasis durchgeführt, um Verteilung des Bedarfs, Verfügbarkeit von Ressourcen und den Ist-Stand der erneuerbaren Energieträger zu erheben. Es wurden Szenarien errechnet um die Versorgung mit Biomasse dauerhaft zu gewährleisten. Bei geplanter Umsetzung, und Vollnutzung der Waldflächen, sollen die verbleibenden ca. 30% der genutzten Flächen den zukünftigen Bedarf an Energieträgern abdecken und 85% der CO² Emissionen eingespart werden.

Nun stellt sich nur die Frage, Holz ist ein langsam nachwachsender Rohstoff, also werden diese 30% wirklich ausreichen? Auch in diese Richtung wird geforscht. Gras, Mais und Klee können bereits in vielen Prozessen zur Gewinnung zahlreicher Energieformen verwendet werden. Mit der Herstellung von Treibstoff aus diesen Ressourcen, mittels der Fischer-Tropsch Synthese, beschäftigt sich ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt, das von VW geleitet wird. Seit 2005 ist die Versuchsanlage in Betrieb. Dennoch besteht durchaus noch Forschungsbedarf um die Energie-Revolution die in Güssing so beeindruckend gelungen ist, ab 2010 auch in größeren Gebieten, und irgendwann vielleicht sogar auf Landesebene zu beginnen.

Heute, 18 Jahre nach Start des Projekts, kann sich die burgenländische Gemeinde als fast völlig energieautark bezeichnen, und wurde zur Klimaschutzgemeinde 2008 gewählt. Güssing macht uns funktionierenden Klimaschutz vor, und zeigt, dass es hier nicht nur auf den kleinen Mann ankommt. Gefragt ist Engagement überall, vor allem in Gemeinderäten und Landesregierungen. Das Projekt zeigt, dass dem Klimawandel entgegentreten nicht immer Verzicht bedeuten muss, sondern durchaus lukrativ und effektiv sein kann. Von einer sterbenden Gemeinde zum Vorbild eines Landes.

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